Bretagne 2011

 

Bretagne 2011

Bretagne 2011

Zur Diashow einfach auf das Foto klicken. Viel Spaß dabei.

Die Bilder habe ich während meines Bretagne- Urlaubs im August 2011 aufgenommen.

3. Bretonisches Tagebuch – Erquy, 17.08.2011

 

Hôtel de MorinDa ich ja Urlaub habe, habe ich mir heute einen fahrtechnisch gesehenen Ruhetag verordnet. Einfach nur abhängen, etwas schreiben, etwas lesen, etwas essen, etwas trinken, also leben wie Gott in Frankreich und ihn dabei gleichzeitig einen guten Mann sein lassen.

Morgen geht’s dann weiter nach La Chèze, wo ich zum dritten Mal in Folge dem Festival „Blues au Château“ beiwohnen werde.

Die Vorfreude ist groß, die auf die Musiker, aber vor allem die auf die lieben Freunde, die ich dort zu treffen gedenke.

Das mit dem Internet funzt, ich habe freundlicherweise eben den Zugangscode bekommen. So werde ich heute diese Texte auch in den Blog stellen können.

Nee, nee! Bloß keinen Stress!  Stressabbau ist ja die aktuelle Devise. Also halte ich mich auch daran.

12Uhr ist ja schon durch. Zeit für einen kleinen Pastis.

Sehr gute Idee.

Zum Frühstück gab es Kaffee, frisches Baguette, ein Weichkäse „Coeur de Lion“, der im Lande seiner Produktion, doch immer noch anders, also besser schmeckt als im Importland Deutschland. Wirklich und ehrlich.

Das ist ähnlich wie mit dem Olivenöl. Und ich traue mich, frech zu behaupten, dass hierzulande einige für den Export vorgesehene Produkte eigens für den Zielmarkt geschmacklich „eingestellt“ werden.

Was soll’s, derzeit sitze ich ja an der Quelle und genieße einfach die Originale. Voilà. Und den „Löwenherz“- Weichkäse begleitet bei jedem Happen ein genüssliches „Hmmmmmm!!!“

Irgendein hungriger Nachbar hat den Holzkohlegrill gezündet. Es riecht nach Brandbeschleuniger, pardon Grillanzünder, und es qualmt – hüstel, hüstel – fürchterlich.

Zum Wetter habe ich ja heute noch gar nichts gesagt: Die Mittagssonne sticht an den paar Wölkchen vorbei direkt auf die Bretagne. So kann und soll es auch ruhig bleiben. Frohlocken ist somit angesagt.

Nenne es Tatendrang, Entdeckergeist oder nur einfach schlechtes Gewissen. Eigentlich wollte ich ja nur hier direkt neben dem Campingplatz, der sich „Bellevue“ nennt, ein paar Strohrollen fotografieren (mehr gibt die „Schöne Aussicht“ nämlich nicht her) und meinen Abfall in den im Eingangsbereich befindlichen Behältern fachgerecht entsorgen (in Frankreich ist es mittlerweile üblich, den Müll zu trennen, hört, hört!!).

Den ganzen Mittwochnachmittag habe ich hier den „Paresseux“, den Faulen gegeben und einfach mal nichts getan. Sogar das Denken ist mir für seltene Momente völlig abhanden gekommen.

So schnappe ich mir die Fototasche und den prall gefüllten Müllbeutel und schluffe gen Ausgang. Da gibt es Tonnen für Papier, Plastikflaschen, Glasflaschen, Aludosen und gleich eine größere Anzahl für den Rest.

Meine Glasflaschen treffen dumpf den Boden der entsprechenden Tonne. Sicherlich war eben erst Leerung. Ich habe nur noch von dem , was man getrost unter Restmüll einsortieren kann. So öffne ich die erste dafür vorgesehene Tonne: Bis oben hin voll. Mit Restmüll, Papier, Plastikflaschen, Glasflaschen, Aludosen. Ebenso die zweite. Grinsend finde ich in der dritten endlich Platz für mein Wegzuwerfendes.

Dann gehe ich ein paar Schritte die Straße hinab, knipse die Strohballen. Ha, toll: Gegenlicht. Etwa 500 Meter weiter ein typischer Bauernhof aus Bruchstein. Ich gehe weiter. Und weiter. Irgendwann ein Schild mit der Aufschrift „Plage de St. Pabu“. Der Pfeil weist nach rechts. Ich folge. Passiere das Hôtel Morin, das aussieht wie ein früheres Kloster, ein traumhaftes altes Bruchsteingbäude.

Mit jedem Schritt weiter geht es auch weiter hinab zum Strand, den ich dann nach etwa zwanzig Minuten erreiche.

Kurz vorher gibt es noch den toll gelegenen Campingplatz St. Pabu, den ich mir sofort für etwaige spätere Aufenthalte hier vormerke. Denn, wenn er auch nicht so heißt, bietet der sicher eine „Bellevue“ und die direkt auf den Strand und das in Ebbe befindliche Meer.

Einmal wenigstens die Füße ins Wasser halten, das muss sein. Dann noch ein paar Fotos. And the only way is up. Ja, unten ist man bekanntlich ganz schnell, aber aufwärts ist immer problematischer. Ich weiß jetzt nicht mehr, was mich am meisten aufrecht gehalten hat: Der Gedanke an die anschließend kräftige und heiße Dusche oder der Gedanke an das eiskalte Bier aus dem saucoolen Frigo.

Egal. Beides habe ich inzwischen genossen. Jetzt werde ich mich der Internetzone nähern und das alles hier posten.

Futtern muss ich auch noch was…

3. Bretonisches Tagebuch – Erquy, 16.08.2011

Erquy Plage

Manches ist fest verankert und geht nicht mehr weg. Bleibt, auch wenn sich drumherum alles ändert.

 Ich und on the road.

Durch die letzten Wochen habe ich mich förmlich gekämpft. Jetzt bin ich da, wo ich sein wollte. Unterwegs in bekannten Gefilden. Les plages de ma jeunesse. Vor genau 41 Jahren war ich zum ersten Mal hier, dann wieder 1971.

 Ich suche nach Namen, Gesichtern, Geschichten, Gefühlen von damals. So richtig will mir das nicht gelingen. Einen kurzen Augenblick erliege ich der Versuchung, zu errechnen, wie viele Fluten und Ebben über diesen Strand in der Zwischenzeit hinweggegangen sind. „Lass es, du hast Urlaub!!“ Eine schallend lachende, innere Stimme ruft mich zur Unvernunft auf. Recht hat sie.

So folge ich ihr wie im Sand den Fußspuren einer Schuhgröße von etwa 42. Der Himmel ist leicht bewölkt und die Sonne findet nicht immer einen Weg durch die Verschleierung hindurch.

Die letzte Nacht habe ich auf einem Campingplatz in der Nähe von Cap Frehel zugebracht. Eine schöne Anlage in Terrassen angelegt. Leider fehlte mir zum absoluten  Glück ein Adapter für die Stromzufuhr. Für 7,50 € hat sich dieser Notstand dank eines Pro Brico Markt inzwischen erledigt.

Um 13:30 Uhr bin ich zunächst happy, den vorletzten Stellplatz auf einem extra für Wohnmobile ausgewiesenen Areal direkt am Strand von Erquy zu ergattern.

Als ich jedoch vom Bummel durch die sandige Notalgie auf den gänzlich aus grauem Asphalt bestehenden Platz zurück in mein fahrbares Domizil zurückkehre und diese leichte Depression, hier jetzt die Nacht verbringen zu sollen, selbst nach zwei Vanillejoghurt gar nicht aufhören will, stecke ich kurzerhand den Zündschlüssel ins dafür vorgesehene Schloss, glühe den Dieselmotor vor, starte mein treues Gefährt und rolle von dannen, ein paar Kilometer Fahrt und ich steuere den nächsten Campingplatz an säuberlich parzelliert (der ADAC Campingführer dürfte seine Freude hieran haben) mit Stromanschluss und ganz heißen Duschen.

Internetzugang gibt’s wohl auch, das werde ich in Bälde gleich testen.

Die Hacksteaks warten gut gekühlt im Frigo, genauso wie eine Flasche Muscadet.

Mein Laptop fungiert zusätzlich noch als Jukebox. Kurzum: Jetzt geht’s mir allerbest.

3. Bretonisches Tagebuch – Anreise 12-15. August 2011

Bon appetit :-)

3. Bretonisches Tagebuch – Anreise

„Lasst uns eine Wagenburg bauen!“ … So allmählich beginne ich die Vorteile eines Wohnmobiltouristen in ihrer Gänze zu erkennen.

Kein lästiges allabendliches Suchen nach einer geeigneten Unterkunft, sei es Pension, Hotel oder Campingplatz. Wo ich bin, kann ich bleiben. So simpel ist das. Die Betonung liegt auf „kann“. Ich habe die freie Auswahl.

Die erste regengepeitschte Nacht habe ich auf dem Marktplatz eines netten Örtchens zwischen Tôtes und Yvetot in der Haute Normandie zugebracht, die zweite bis soeben auf einem Wohnmobilparkplatz mit etwa 40-50 Gleichgesinnten an der Baie du Mont . Michel ein paar Kilometer vor Cancale, meinem eigentlichen Ziel.

Ein sonntäglicher Stau und eine gewisse Fahrmüdigkeit haben mich gestern schnell überzeugt, hier Station zu machen.

Und wenn ich mich hier so umschaue, stehen hier mobile Werte in Höhe von einigen hunderttausend Euro herum. Mein doch eher bescheidenes Gefährt fällt somit etwas aus der Reihe, was mich schmunzeln lässt.

Eine typische Ver- und Entsorgungsstation für Wohnmobilistas, eigentlich wie ein Campingplatz, nur ohne Toilettenhäuschen und Zelte.

Feststellen konnte ich gestern, dass die meisten Supermärkte sogar sonntags geöffnet haben. So konnte ich mich mit dem „Nötigsten“, sprich Mineralwasser, Käse, und einer Flasche „Graves“ versorgen.

Ein Vollkornbaguette gebacken auf nach eigenen Angaben auf traditionelle Weise und zudem der schmackhaftesten Art allerdings habe ich in einer äußerstes Vertrauen erweckenden Boulangerie erstanden.

Genaue Pläne, wie es nun weiter geht, habe ich gerade nicht. Nach all der Kilometerfresserei bin ich froh, dass jetzt erst mal, wenn überhaupt, nur kleinere Strecken warten.

Außerdem tut mir der linke Arm weh. Das kommt vom ewigen Grüßen der auf der Fahrt entgegenkommenden Wohnmobilkollegen. Denn es ist wohl (schöne) Sitte, sich kurz zuzuwinken.

Das habe ich gestern gelernt. Mautträchtige Autobahnen habe ich gemieden. Schneller als 110 Stundenkilometer macht mein Schlachtschiff so wie so nicht und die kann ich auch auf den meisten Landstraßen fahren, bis mich dann ein „Rond Point“, ein Kreisverkehr wieder aus dem Geschwindigkeitsrausch nimmt.

Nach 11 Stunden Schlaf, fühle ich mich heute Morgen frisch nach der Vollmondnacht, die auch als solche erkennbar war, denn je weiter ich auf die Bretagne zukam, haben sich die Wolken verzogen.

Heute Morgen scheint die Sonne, einige bauschige Wolken tupfen den blauen Himmel. Bilderbuchwetter.

Jetzt besorge ich mir erst einmal ein Baguette, koche Kaffee und frühstücke. Draußen!

2. . Bretonisches Tagebuch – Teil 7 – St. Quay de Portrieux, Étables sur Mer und nach Hause 26.08.2010

St. Quay de Portrieux

St. Quay de Portrieux

Darf man Wettervorhersagen trauen? Ist es klug, sich darauf zu verlassen? Nach der unfreiwilligen Morgendusche am gestrigen Mittwoch habe ich es mir nicht nehmen lassen, im Internet meteorologischen Beistand anzufordern.

Der sagt für die Bretagne wie für die Normandie und für heute erhebliche, himmlische Wasserfälle voraus.

Gegen 7.30 Uhr scheint sich das schon zu bewahrheiten. Die Regentropfen pochen erneut auf die Außenhaut des Zeltes.

Ok, dann war es das eben. Und bevor ich mir hier den berühmten Tag zuviel antue, werde ich in den Tag hinein bummeln, mir noch etwas die Gegend anschauen, letzte Einkäufe tätigen und gemütlich nach Nordosten Richtung Heimat schaukeln. Denkbar ist auch einfach in die Nacht hineinzugondeln und dann auf deren anderen Seite am heimischen Zielhafen einzulaufen.

Der morgendliche Regengruß ist zum Glück nur von kurzer Dauer, und dennoch werde ich das Oberzelt wieder nicht trocken verstauen können.

Gegen 10 Uhr ist alles gepackt, der Müll brav, so wie es sich gehört, entsorgt. Auf dem Platz selbst herrscht schon so etwas wie Nachsaisonsstimmung.

Vermutlich wird es nach dem Wochenende, an dem in ganz Frankreich, Belgien und in Nordrheinwestfalen die Ferien zu Ende gehen noch um einiges ruhiger.

Ich rolle gemächlich vom Platz, die Rechnung habe ich schon bei der Anmeldung beglichen. Bis zum ersten Stopp ist es gar nicht weit: Gleich rechts vom Strand in St. Quay de Portrieux ist eine Bäckerei mit hervorragenden Teigwaren.

So erstehe ich ein „pain aux raisin“, bei uns landläufig bekannt als Rollkuchen oder Rosinenschnecke und ein „pain au chocolat“, hier Sckocroissant genannt. Beides gereicht zu einem morgendlichen Frühstückshochgenuss,

Zum Verzehr setze ich mich auf eine Bank oberhalb des Strandes, der aufgrund der aktuellen Flut weitaus kleiner ist, als er es vor einer Woche war, als ich an gleicher Stelle saß und aß.

Der Strand ist wenig belebt, es ist ja auch noch relativ früh, immerhin regnet es nicht und die Temperaturen liegen ein angenehmes und gutes Stück über 20 Grad Celsius.

Plage des Godelins

Plage des Godelins

Dann geht’s weiter. In Étables sur Mer biege ich ab und erreiche die Plage du Moulin. Auch dieser Strand ist beinahe menschenleer. Wo vorige Woche sicher noch fast wegen Überfüllung geschlossen werden musste, herrscht jetzt wieder beinah idyllische Ruhe.

Ein paar Fotos und dann weiter zur Plage des Godelins. Hier das selbe Bild wie vorher. Einige Jogger, ein breiter Mann mit einem breiten Hund. La saison morte, die tote Saison, hat bereits begonnen.

 In mir spüre ich etwas wie Wehmut aufkeimen, ja, es ist klar: Der Urlaub, die ganze Saison, der Sommer und die Vorfreude auf all das, sie sind passé. Vorbei und aus.

 Doch der Blick richtet sich wieder nach vorn auf all die Vorhaben, die Dinge und Begegnungen, die jetzt kommen werden, geplant oder auch eben nicht.

 Ich sitze auf der Bank, atme die frische Seeluft ein, schließe die Augen für einen kurzen Moment nur und einen langen, tiefen Gedanken, bei dem mein Herz vor Freude hüpft und ein Lächeln huscht über meine Lippen.

 Also: Auf ! Auf!

 Der Supermarkt in St. Brieuc bietet mir wieder feinste Crevettes, Käse, Brot und noch ein paar Dinge, von denen ich mir gerne noch etwas mitnehmen möchte.

Systemgastronomie

Systemgastronomie

Gegenüber beim großen M checke ich noch mal meine Mails und schreibe noch eine, in der ich mein heutiges Vorhaben erkläre.

 Die Aufnahme mit Superkraftstoff muss ich leider auf eine andere Tankstelle verlegen, weil sich die hiesige nur mittels einer bestimmten Kreditkarte bedienen lässt. Der Kassierer frönt indes seiner sicherlich verdienten Mittagsruhe.

Je weiter ich nach Osten gelange, umso dunkler wird es. Mit dem Überschreiten der Grenze zum Departement „Basse Normandie“ beginnt ein Dauerregen, der mir die nächsten 600 Kilometer das Gefühl geben wird, in einer schier unendlich erscheinenden Autowaschstrasse unterwegs zu sein.

Pluie, Regen, Rain

Pluie, Regen, Rain

Und wohl gemerkt, was da so aus den Wolken fällt ist kein Nieselregen, es ist die volle Breitseite. Manchmal kann man keine 20 Meter weit sehen. Hinzu kommt das aufspritzende Wasser der vorausfahrenden Autos oder noch schlimmer das der LKW.

 In Villers Boccage, kurz vor Caen, muss ich an die Box zum Tanken. Ich entschließe mich, die Autobahn zu verlassen und nach einem Supermarkt nebst angeschlossener Tanke Ausschau zu halten.

 Ich werde sogar relativ schnell fündig. Etwas verwundert bin ich schon, das allerdings weniger über den Literpreis für den Sprit von 1,279 €, sondern eher darüber, dass es hier regenmäßig nur noch tröpfelt.

 Vielleicht war es ja das jetzt mit diesem Dauerwasserfall.

 Schon auf der Beschleunigungsspur beim Einfädeln in den fließenden Verkehr wieder auf die E401 werde ich eines Besseren belehrt: Der nasse Wahnsinn hat kein Ende, sondern einen herzlich brutalen Wiederanfang.

Von den 12 Kilometern um Caen herum, erlebe ich die letzten vier im Stau und somit  im Schritttempo, was auch gut so ist, denn aufgrund des nochmals gesteigerten Wasseraufkommens oder besser – niederkommens pro Quadratmeter, wäre eine schnellere Fahrweise wohl weniger angebracht.

Pont de Normandie

Pont de Normandie

Selbst auf dem Pont de Normandie. der Brücke über ddie Seine Mündung bei Le Havre macht die Wasserschlacht keine weitere Pause.

Es hält sich so dran bis ich dann nach Stunden endlich nördlich von Paris auf die A1 komme, hier hört der Regen gänzlich auf.

In ein paar Stunden, so ziemlich genau um 22.55 Uhr werde ich dann zu Hause sein, durchatmen nach diesem Horrortrip, den Telefonhörer schnappen und genau davon erzählen und davon, dass ich wohl behalten wieder angekommen bin.

Spuren

Spuren

2. Bretonisches Tagebuch – Teil 6 – Roscoff und St. Quay de Portrieux 25.08.2010

Wednesday Morning

Wednesday Morning

Blues ist für mich, wenn es trotzdem irgendwie immer weiter geht. Es ist weiter gegangen. Trotz Regen und heftigem Wind, die mich gestern an den Rand der Verzweiflung trieben.

Eine Vorahnung lässt mich gegen 5:15 Uhr wach werden. Ich schreibe eine SMS und legte sie auf „Halde“ in den Speicher. Um 6:30 Uhr fängt der Regen an, auf das Zeltdach zu trommeln und der Wind beginnt sein Zerren an meinem dünnhäutigen Schneckenhaus. Der erste Tropfen fällt mir in den Rücken, noch kaum wahr genommen und beachtet. Den Zweiten und den Dritten und erst recht die Folgenden nehme ich schon ernster und sehr persönlich und quittiere sie mit einer Zeltflucht ins dichte Auto.

Da sitze ich nun, ich nasser Tropf und grübele über den Fortgang nach. Das Zelt bei dem Wetter abzubauen, ohne eine dicke Erkältung zu riskieren, scheint mir glatt unmöglich.

Kurz nach Elf stockt der ergiebige Regenguss und ich sehe meine Stunde gekommen: Innerhalb von 15 Minuten habe ich das Zelt abgebaut und leider viel zu nass ins Auto verladen müssen.

Noch schnell zum Empfang und bezahlen, den Müll artgerecht entsorgen. Das war’s dann für mich und den Camping „Les Pins“ in Crozon.

In dem Ort selbst ist ein groß angelegter Markt, deshalb sind gleich sämtliche Durchfahrtsstraßen gesperrt. Die Umleitung (Deviation) ist großzügig ausgeschildert.

Mein Ziel ist Roscoff, die alte Korsarenstadt. Wieder in den Norden der Bretagne. Nicht viel Zeit bleibt, aber es wird reichen für eine Stippvisite. Das Wetter bleibt trüb die ganze Fahrt über. Über Roscoff lässt sich dann ab und an wenigstens ein blauer Hoffnungsflecken am Himmel erkennen.

Meine etwas im Keller ruhende Laune, klettert sogleich wieder einige Stufen in Richtung Parterre. Vorbei fahre ich an dem für Touristen ausgewiesenen Parkplatz. Ich habe das Gefühl, dass das Glück mir heute noch etwas schuldig ist und bekomme Recht, das sich zunächst in einem Parkplatz direkt am alten Hafen manifestiert.

Gegenüber befindet sich eine Friterie, an der ich gleich eine mittlere Portion Kartoffelstäbchen ordere, Senf, Mayonnaise und weitere Zutaten sind als Dreingabe im Preis von 2,50€ inbegriffen.

Friterie

Friterie

Die Nahrungsaufnahme steigert meine Laune um einige weitere Stufen, Parterre ist zumindest wieder erreicht, ich greife mir die Kameratasche und begebe mich auf Erkundungstour.

Möwe

Möwe

Es ist Ebbe und so liegen viele Boote im Hafenschlick auf dem Trockenen. Bei meinem Spaziergang mache ich die Bekanntschaft mit einer Möwe, die weder menschen- noch kamerascheu ist. Vielleicht war sie im früheren Leben mal Fotomodel, denn der Vogel wirft sich sichtlich zuvorkommend in Pose. Das Ganze passiert nur eine halbe Armlänge von mir entfernt.

Roscoff Hafen

Roscoff Hafen

Der Abstecher nach Roscoff erweist sich als wahrer Glücksgriff, in einem Laden finde ich den lang gesuchten Lederhut mit breiter Krempe, der auch noch auf meine „grosse tête“, meinen großen Kopf passt.

So schließt dieser anfänglich eingetrübte Tag mit einer Menge farbenfroher Ereignisse, ich beschließe die Nacht wieder in St. Quay de Portrieux zu verbringen. Mein treues Gefährt bringt mich sicher die etwa 100 Kilometer entfernte Strecke weiter und erneut zum Campingplatz „Bellevue“, den ich exakt vor einer Woche verlassen habe, um nach La Chèze aufzubrechen.

Der Platz wirkt im Vergleich zur letzten Woche bereits sehr ausgestorben, und das, obwohl in Frankreich die Sommerferien erst am kommenden Wochenende zu Ende gehen.

Mond

Mond

Außerdem wird es schon spürbar  früher dunkel und der Vollmond schiebt sich durch die treibenden Wolken. Noch ein kleines Telefonat und die Welt ist wieder rund und alles im ruhigen Fluss.

2. Bretonisches Tagebuch – Teil 5 – Crozon 25.08.2010

Café (grande tasse)

Café (grande tasse)

Camping. Für mich immer noch die beste Option auf Reisen Unterschlupf zu finden. Das eigene Schneckenhaus da aufzuschlagen, wo es passt. Und wenn es nicht (mehr) passt, wieder abzubauen. Und weiter geht’s.

Auf manchen Campingplätzen habe ich bisweilen kuriose Dinge erlebt. Es gibt Menschen, die sich vom eigentlichen Zuhause fortbewegen, um genau wieder die Dinge zu tun, die sie dort ebenfalls verrichten würden. Rasenmähen beispielsweise. Oder Trimmen dieses Grüngewächses. Mit dem Zweitrasenmäher bzw. –trimmer. Immer hübsch im Slalom zwischen die aufgestellten Gartenzwerge hindurch.

Letztens wurde mein beschauliches Nomadendasein einen ganzen Nachmittag von intensivem Hämmern begleitet. Da bastelte wohl ein Zeitgenosse im Blaumann an der Perfektionierung des Regenablaufs seines Wohnwagens mit Ziel in die bereitstehende Tonne.

Morgens am Tag darauf, als ich gerade vom Duschen zurückkam, sah ich ihn im Morgenmantel auf einer Trittleiter wieder den Hammer schwingen.

„Du Harry, in welcher Welt leben wir eigentlich?“, höre ich die Stimme von Stefan Derrick sagen. Und fasse mir innerlich an den sich schüttelnden Kopf.

Zehn Tage bin ich jetzt schon wieder unterwegs. Langsam wird es Zeit, den Rückzug zu planen. Immer häufiger greife ich nach der Karte und überlege, wie ich es am besten einrichte, noch etwas Neues zu entdecken in diesem wundervollen Landstrich und mich gleichzeitig wieder einem Punkt zu nähern, von dem ich dann bequem in einer Tour den Heimweg antreten kann.

Crêperie in Crozon

Crêperie in Crozon

Immer noch auf der Halbinsel von Crozon im äußersten Westen der Bretagne. Die „Hauptstadt“ Crozon ist ein hübscher Ort mit zahlreichen kleinen Geschäften und Cafés im Zentrum. Etwas außerhalb findet sich ein riesiger Supermarkt mit allem, was das Konsumentenherz höher schlagen lässt.

Bis zum Badestrand von Morgat sind es schlappe 4 Kilometer. Der Abstecher lohnt auf jeden Fall. Ein breiter Sandstrand erwartet den Sonnenanbeter. Wenn die Sonne dann scheint, am Montag tat sie dies. Heute ist es zunächst einmal regnerisch und grau.

Morgat (Strandcafé)

Morgat (Strandcafé)

Aber das Wetter in der Bretagne ändert sich bekanntlich schnell. Es noch früh, warten wir’s ab.

2. Bretonisches Tagebuch Teil 3 – 17.08.2010 bis 18.08.2010 St. Quay de Portrieux

Bucht bei Paimpol

Bucht bei Paimpol

St. Brieuc hat auf die Schnelle keinen freien Parkplatz für mich und da mir im Moment überhaupt nicht nach Stadtgetümmel ist, begebe ich mich gleich wieder weiter nach Norden Richtung Binic und St. Quay de Portrieux.

In Binic werde ich zunächst einmal in einen ausgiebigen Stau gebunden, Geduld ist gefragt, denn die Ortsteingangsampel lässt nur jeweils ein paar wenige Fahrzeuge passieren.

In St. Quay ist die touristische Hölle los, achtsames Fahren ist gefragt, da weniger achtsame Fußgängermassen bisweilen ohne sich umzuschauen auf die Straße treten.

Ein Belgier hält bei grüner Ampel mitten auf dem Zebrastreifen an, um Madame nebst Pummeltochter in Hotel- oder Boutiquenähe aus dem Wagen zu lassen. Ein wenig Abschiedsgewinke, dann geht’s auch schon weiter, zumindest für ihn und bei Rot, was die Grün habenden mit einem unharmonischen Hupkonzert quittieren.

Ein Grinsen kann ich mir nicht ersparen.

Das Schild mit der Aufschrift „Camping Bellevue“ ist sehr niedrig angebracht, ich entdecke es relativ spät im Kreisverkehr, also drehe ich eine Ehrenrunde und nehme die entsprechende Ausfahrt.

Die Straße zieht sich noch etwas hin, dann geht es im 90 Gradwinkel in die Einfahrt zum Gelände.

Der Mensch an der Rezeption lässt auf sich warten, warum das so ist, begreife ich, als er das junge Pärchen vor mir abgefertigt hat: Er schwingt sich aufs Fahrrad und zeigt ihm wie jedem Neuankömmling seinen Stellplatz.

Service auf der einen Wartezeit auf der anderen Seite.

Mein Platz liegt auf der terrassenförmig angelegten und dem Meer zugeneigten Seite. Von hier hat man einen wunderbaren Ausblick auf die Felsnasen und Buchten Richtung Norden. Hier kann man’s aushalten.

Camping Bellevue

Als Abendmahl bereite ich mir in der Pfanne die Crevettes zu mit ordentlich Knoblauch und in Olivenöl, dazu gibt es einen herrlich mundenden und dank meiner Kühlbox wohl temperierten Gris und Weißbrot.

Der Wind weht mit leichter Wucht, so ist das Kochen auf der Gasflamme ein Kunststück. Ich baue mir aus dem Tisch, den ich schräg auf eine der beiden Bänke kippe, einen Windschutz. Den Gaskocher stelle ich dahinter auf die andere Bank. Somit ist der Wind weitestgehend ausgetrickst.

Gegen 3 Uhr bin ich wach, krabbele aus dem Zelt und finde mich unter einer riesigen Sternenkuppel wieder, kein Wölkchen am Himmel, atemberaubendes Panorama.

Da ich putzmunter bin, schreibe ich meinen Blogeintrag. Tagsüber zu schreiben, ist im Freien schwierig, da ich au dem Laptopmonitor kaum etwas erkennen kann. So sitze ich wie auch jetzt in meinem „Caroffice“ und tippsele munter vor mich hin.

Die Tastatur spinnt hin und wieder mal, da werden Textpassagen urplötzlich wie von selbst markiert und verschwinden gänzlich oder der Cursor springt willkürlich an eine andere Stelle im Text und wenn man nicht aufpasst, schreibt man eben dort weiter.

An diesem Mittwoch, der das Datum 17. August 2010 trägt, mache ich einen Ausflug an alt vertraute Plätze, von denen ich nicht mehr allzu viel wiedererkenne. Alles auf frisch getrimmt, so viele Neubauten. Nicht meine Welt, jedenfalls nicht die von damals.

Strand in Perros- Guirec

Aber heute ist heute und ich bin froh, wieder in der Region zu sein. Sie ist recht abwechslungsreich.

Paimpol, Perros- Guirec, Ploumanach, Tregastel liegen auf meiner Route. Hin und wieder halte ich an, um Fotos zu machen wider das Vergessen und für die Erinnerung.

Einen krzen Stopp mache ich noch in Runan. Die alte Kirche der Tempelritter ist ein zu schönes Fotomotiv.

Kirche in Runan

Gegen 18Uhr bin ich zurück auf dem Campingplatz. Meinem Hunger begegne ich mit Merguez und Spaghetti, eine etwas ungewöhnliche Kombination, aber durchaus sättigend.

Morgen ist der 19. August, dann fängt in La Chèze das Festival „Blues au Château“ an und ich werde dort sein, um alte Freunde zu treffen und neue Freundschaften zu schließen.

2. Bretonisches Tagebuch Teil 1 – 15.08. und 16.08.2010

Deutscher Regen auf deutscher Bundesstraße

Deutscher Regen auf deutscher Bundesstraße

Es ist Sonntag kurz nach 12 Uhr. Der Tank ist gefüllt, die Tagesmarschzahl ist gesetzt, das Navi mit dem groben Ziel Caen in der Normandie versehen und der Option: „Dann schauen wir weiter…“ Ich beantworte noch eine liebe und wichtige SMS und starte den Motor.

 Regen hat eingesetzt, er wird mich quer durch Belgien begleiten, zum Glück wird das nicht auch der Mähdrescher, der mir gleich auf den ersten Kilometern den Schnitt verhagelt.

 600 Kilometer bis Caen, voraussichtliche Ankunftszeit, 17:15 Uhr, wenn ich ohne Pause durch fahren würde.

Es lässt sich gut fahren an diesem Sonntag. Die LKW haben generell Fahrverbot und an PKW ist nicht allzu viel unterwegs.

Gedanken und Bilder der vergangenen Tage schwirren durch den Kopf. On The Road Again. Ja, ich bin wieder unterwegs. Unterwegs in das immer wieder von mir gelobte Land. In dem ich jung war und so manches vom Leben lernte.

Erinnerungen kommen auf, ein Lächeln huscht über meine Lippen. Wie lange ist das jetzt her, dass ich das erste Mal in die Bretagne gefahren bin? 40 Jahre? Ich kann rechnen, wie ich will, es sind tatsächlich 40 Jahre! Seufz! Dabei habe ich nicht einmal den leisesten Wunsch, wieder der zu sein, der ich damals war. Denn im Großen und Ganzen bin ich zufrieden mit dem, was aus dem von damals geworden ist. Ohne dabei in Selbstzufriedenheit zu versinken.

Etwa 60 Kilometer vor Caen mache ich Tankpause. Ein junger Typ spricht mich auf Deutsch an, ob ich ihn ein Stück mitnehmen könne. Er wolle in die Bretagne. Dabei siezt er mich. Hm, ich bin wohl doch schon so ziemlich in die Jahre gekommen.

Irgendwie ist er mir sympathisch. Meine Bedenken sind nur von kurzer Dauer, sein Rucksack liegt im Kofferraum und Marvin aus Hamburg sitzt neben mir auf dem Beifahrersitz und erzählt mir von seinen Abenteuern in Calais und seiner Arbeit in der Landwirtschaft in der Provence.

Er will in St. Malo jemanden treffen. Somit ist mein Tagesziel dann auch entschieden. Mit dem Gedanken, direkt bis in die Bretagne zu fahren, hatte ich auch schon geliebäugelt.

 Die letzten 200 Kilometer werden recht kurzweilig. Wir Beide schwärmen von diesem Land, schimpfen auf verständnislose Obrigkeiten, die es leider hier wie überall gibt.

Es ist kurz nach 20 Uhr, als wir durch St. Malo kurven, auf der Suche nach dem Hauptbahnhof, dort wird mein Begleiter seine Leute treffen.

Der Abschied ist kurz und herzlich, jetzt wird es Zeit, einen Schlafplatz zu finden. Ich entscheide mich für Cancale und seinen Campingplatz.

Dort aber scheint sich niemand mehr um Spätankömmlinge zu kümmern, das Office ist seit 20 Uhr geschlossen.

An der Küste entlang geht es wieder zurück Richtung St. Malo. Die Tankuhr zeigt mittlerweile auch wieder Reserve, ich hatte nicht voll getankt, da die Preise an Autobahntankstellen immer erheblich und empfindlich höher sind als sonstwo.

Die 24/24 Stunden Tanke eines Supermarkts hilft mir auch nicht weiter, da ich über keine entsprechende Kreditkarte verfüge. Dafür werde ich in Rothéneuf, einem Vorort von St. Malo, Camping technisch fündig. Der Platz nennt sich „Le Nicet“. Ein freundlicher Herr zeigt mir, wo ich mich niederlassen kann. Er verlangt noch nicht einmal, wie sonst üblich, einen Personalausweis. Alles Weitere könne ich ja mit seinem Kollegen am nächsten Morgen klären. Aha. Gut, also. 

Camping Le Nicet, Rothéneuf bei St. Malo

Camping Le Nicet, Rothéneuf bei St. Malo

Der Platz liegt oberhalb einer Bucht, man hat einen schönen Blick aufs Meer und auf den Sonnenuntergang.

Dass mich die Fahrt hierher doch geschafft hat, spüre ich, als ich mir einige Minuten konzentrierter Ruhe angedeihen lasse.

 Das Zelt werde ich hier und heute nicht aufbauen. Etwas zu essen bekomme ich bei den freundlichen jungen Leuten, die mit ihrem Imbisswagen angerückt sind. Zwei Galettes, eine mit Käse, die andere mit Schinken werden begleitet von einem Rosé, soweit  mein Abendessen.

Rsoé & Galette au fromage

Rsoé & Galette au fromage

Ich höre noch etwas Radio, RFM. Hier ist die Musik in der Hauptsache erträglich. Irgendwann schließt mich der Schlaf in seine Arme.  Einige Male werde ich wach in dieser Nacht, schaffe aber immer wieder den Wiedereinstieg in Schlaf und Träume.

Gegen halb Acht bin ich dann putzmunter.13, 20€ kostet mich die Übernachtung.

Wie von selbst bringt mich mein Auto wieder in die Innenstadt von St. Malo. Da es noch relativ früh ist, finde ich schnell einen Parkplatz direkt an der Uferpromenade.Am Strand und im Hafen mache ich einige Fotos. Dann beschließe ich Richtung Dinard zu fahren. Hier weiß ich einen Hot Spot, um meine Mails abzurufen und einige andere abzusetzen.

Was ich dann auch tue, während ich einen Espresso aus einem Pappbecherchen „genieße“.Direkt gegenüber ist ein Supermarkt deutscher Provenienz, natürlich auch besetzt mit Waren aus hiesiger Produktion.Eine kleine Honigmelone, ein paar Flaschen Gris, Käse, Spaghetti, Oliven, Olivenöl ind meine Beute.Dabei fällt mir ein und auf, dass ich während des Packens zu Hause vergessen habe, eine Pfanne und einen Kessel mitzunehmen. Diese bekomme ich im Riesensupermarché gegenüber.

In beiden Läden wälzen sich wahre Karawanen von Kaufwilligen durch die Gänge.Weiter geht’s Richtung St. Brieuc. Nach ein paar Kilometern biege ich einer spontanen Eingebung folgend rechts ab und lande in dem Örtchen St. Jucat de la Mer.

Der Camping Municipal bietet mir seitdem Unterschlupf. Er liegt direkt an einer Meeresbucht mit einem gut aufgeräumten Sandstrand. Das Witzige an diesem Platz ist, dass sich Wohnwagen und Zelte um ein ausgewachsenes Fußballfeld gruppieren.Camping Municipal St. Jucat de la Mer.

Camping Municipal St. Jucat de la Mer

Hier üben sich in Ronaldo-, Schweinsteiger-, Zidanetrikots gewandete Kids in ihren Ballkünsten, wobei die Lederkugel etliche Male in mein sich im Aufbau befindlichen Zelt einschlägt.

Bretonisches Tagebuch Teil 3: La Chèze – Blues au Château

 Mittwoch, 19.08.2009 
Affiche

Plakat

Für die Strecke nach La Chèze brauche ich knappe zwei Stunden. Ich habe keinerlei Ahnung, wohin ich mich wenden soll. So durchfahre ich zunächst den ganzen Ort, was schnell geschehen ist. Plakate, die auf das Festival hinweisen, gibt es reichlich, so auch einige Wegweiser. So folge ich einem dieser Schilder, fahre vorbei am örtlichen Campingplatz, dann vorbei an einem Weiher. Dort sitzt auf einer Bank eine ältere Dame. Ich frage sie, wo ich denn die Leute vom Festival finden kann. „Ah, c’est pour le blues…“, antwortet sie. „Ja, es ist wegen des Blues.“, bemerke ich erstaunt darüber, dass die Dame gleich Bescheid weiß. Sie verweist mich auf ein paar hundert Meter weiter: „Da sind so ein paar junge Leute, die werkeln schon den ganzen Tag herum, fragen Sie dort doch mal.“ Na, das ist doch mal eine Ansage, ich bedanke mich und setze meinen Weg fort.

Ich gelange auf einen Parkplatz, noch bevor ich einparken kann, entdecke ich bereits meinen Freund Philippe, dem ich die Einladung zu verdanken habe. Ich stelle meinen Wagen ab. Philippe hat mich bereits erspäht. Die Wiedersehensfreude ist groß. Und gleich doppelt. Denn jetzt erst bemerke ich, dass der Mann neben ihm Maurizio Pugno ist, für mich einer der interessantesten und besten Gitarristen, die Italien zu bieten hat. Er ist auch erst gerade angekommen. Mit der ganzen Familie – Frau und zwei Kleinkinder – im Auto, weil er nicht gerne fliegt. Philippe habe ich zweimal vorher getroffen, Maurizio einmal. Die Begrüßung allerdings ist so herzlich wie man es sonst bei langjährigen Freunden erwarten würde. So fühle ich mich gleich zu Hause. Philippe macht mit uns eine Platzbegehung, zeigt uns stolz, wo die einzelnen Bühnen stehen. Maurizio verabschiedet sich fürs erste: „Die Kinder müssen gewaschen werden und etwas schlafen.“

angekommen

Ronan, Philippe (weiße Kappe), Malika, X,X, Stephane, ich, Dik Banovich (Hut) Foto: Pascal Auffret

Wir treffen auf Ronan, den Hauptverantwortlichen des «Blues au Château» und einige Mitorganisatoren. Ronan meint, es wäre Zeit, einen auf das gute Gelingen des Festivals zu trinken. Also halten wir Einzug in eine Kneipe. In deren Hinterhof stehen einige Tische, die schnell zusammengestellt sind. Hinzu gesellt sich Dik Banovich- Er ist gebürtiger Schotte und hat sich vor einigen Jahren in der Bretagne niedergelassen. Er wird das Festival am heutigen Abend mit seinem Auftritt eröffnen. Die Stimmung ist prächtig und erwartungsvoll, ich fühle mich sofort ins Geschehen integriert. So wird es dann auch all die Tage bleiben. Verständigungsschwierigkeiten gibt es keine. La Chèze ist der friedlichste Platz auf Erden.

Nach Dik Banovich’s Solo- Auftritt der eine gelungene Einstimmung auf die folgenden 5 Bluestage geboten hat, folgt als Open- Air Kino der Film: «The Road To Memphis» aus der Martin Scorcese- Reihe «The Blues».

Dik Banovich

Dik Banovich eröffnet das Festival

Es ist irgendetwas nach Mitternacht, als der Film zu Ende ist. An Schlaf ist allerdings noch nicht zu denken. Ein kleiner Auto- Convoy macht sich auf die vier, fünf Kilometer weite Strecke zum Haus von Ronan, das etwas außerhalb liegt. Hier sind einige der Musiker untergebracht und hier werde ich auch mein kleines Zelt im Garten aufschlagen. Ich weiß nicht, wie viele Menschen sich in dem kleinen Wohnzimmer um den Tisch versammeln. Die Stimmung ist weiterhin gut, ein wenig ausgelassen sogar, das, worauf so viele hingearbeitet haben, ist endlich im Gange, das Festival hat begonnen. Plötzlich werden zwei Gitarren gereicht, die erste Session nimmt ihren Lauf.

Roll&Mathieu

Roll Pignault & Mathieu Pesqué

 Mathieu Pesqué und sein Kumpel Roll geben ein paar ihrer Songs zum Besten und so geht es munter weiter bis tief in die Nacht. Es muss so gegen halb fünf sein, als Roll und ich als die letzten Übriggebliebenen immer noch Musik machen und J. Sintoni und dessen Kumpel Marco aka Mr. Banana durch die Tür kommen. Nach dem Flug aus Italien und der anschließenden etwa sechs- stündigen Autofahrt hierhin sind sie reichlich ko. Der Bitte, ein wenig noch von ihren Künsten zu zeigen, folgen sie ohne großes Zögern. Mal eben so improvisieren die Beiden ein paar Titel im Stil von Django Reinhardt. «Nuages» wird zum Beispiel zitiert.

Jay & Mr Banana

Jay Sintoni & Mr. Banana

Als die beiden Italiener nach etwa einer Stunde ihre Zimmer aufsuchen, beschließen Roll und ich die Nacht nun wirklich zu einer „Nuit Blanche“ zumachen und als der Tag erwacht, sitzen wir auf der Terrasse und erzählen aus unseren Leben. Christian, Ronan’s Vetter, gesellt sich dazu, stellt drei Weingläser auf den Tisch und gießt eiskalten Rosé hinein. „So ist das richtig, Jungs! Santé!“, lacht Christian. Wir stoßen an auf das Leben, das so herrlich unkompliziert sein kann und prall, wie diese Nacht gezeigt hat. So haben wir jetzt konsequenterweise ein petit déjeuner, ein Frühstück der anderen Art.

Ein weißer Transporter rollt auf den Hof. Ihm entsteigen Tonky de la Peña und sein Sohn. Sie kommen direkt aus Madrid. Nach einer kurzen Begrüßung begeben sie sich auf ihr Zimmer. Es ist gegen neun Uhr etwa, ich sitze auf dem Sofa und schlummere sanft ein.

Donnerstag, 20.08.2009

Als ich wach werde, ist es gegen Elf. Irgendwer hat Kaffee gekocht, entsprechender Duft macht sich breit. Ich hole mir eine Tasse und beschließe, endlich mein Zelt aufzubauen.

Für zwölf Uhr ist das Mittagessen anberaumt. Ich fahre mit Tonky ins Städtchen. Als wir ankommen ist die komplette italienische Crew schon vor Ort. Maurizio Pugno, Mauro Ferrarese, Marco Pandolfi, der Drummer Guliano Bei und der Bassmann Mirco Capecci. Ein herzliches Hallo und die Tafel ist eröffnet. Es gibt leichte Kost: Salate, Taboulé, Brot , Obst und Käse. Dazu Wasser, Cola, Wein.

Mittagessen

Mittagessen

 

Babylonische Sprachverhältnisse: Italienisch, Französisch, Spanisch und wenn gar nichts mehr geht, dann eben Englisch. Mittenmang ich als einziger Deutscher, der sich jedoch so sauwohl fühlt wie schon lange nicht mehr.

Session

Mr. Banana, J. Sintoni, Tonky de la Peña

Nachmittags spielen sich Tonky, Jay Sintoni und Mr. Banana für das abendliche Sessionkonzert ein, ich schließe mich ihnen gerne an, Standards wie «That’s Alright Mama» oder «The Midnight Special», «Rock Me Baby», eben so’n Zeugs, das jeder kennt, machen mit den drei Herrn so richtig Spaß, da flitzen die Solofinger nur so über die Saiten, der Gesang artet nie in Grölerei aus, sogar Mehrstimmigkeit wird geprobt. Als Percussion dienen eine leere Plastikcolaflasche, aus der man mit richtiger Fingeranschlagstechnik Tabla- ähnliche Klänge entlocken kann oder eine metallene Käsereibe, die Mr. Banana mit seinem Feuerzeug traktiert. Das vierfache Footstomping rundet den rhythmischen Einsatz perfekt ab.

Siestatime. Tonky will vor dem Auftritt noch etwas ruhen. „Wir haben ja noch Zeit genug.“ So seine Worte. Er begibt sich auf sein Zimmer.

Abfahrt

Mr. Banana, Tonky de la Peña, J. Sintoni

Um 18 Uhr ist für Señor de la Peña eigentlich Showtime. Gegen 18:15 Uhr kommt er gut gelaunt aus dem Haus und fragt, ob wir denn endlich losfahren können. Ich muss lachen. Hier treffen deutsche Pünktlichkeitserziehung und mediterraner Gleichmut friedlich aufeinander. Wir verstauen Tonky’s rote Gibson ES 335 und seinen Amp in mein Auto und fahren hinunter in den Ort zum Schloss. 

Auch hier keinerlei Hektik, nur Gelassenheit. Etliche Zuschauer haben sich schon eingefunden, die gesamte italienische Prominenz, für die Tonky und ich bereits den Nickname «The Bluesolinis» festgelegt haben, ist bereits versammelt.

Das Festival

Die Acts verteilen sich über die fünf Festivaltage, hier wird in verschiedenen Zusammensetzungen gespielt, akustisch wie elektrisch. Auf die Art hat man das seltene Glück, all diese Künstler innerhalb kurzer Zeit mehrfach zu erleben. Die meisten der Musiker bleiben für die gesamte Dauer des Festivals vor Ort, sie sind auf mehrere Gastgeber verteilt privat untergebracht. Man trifft sich dann zentral zum gemeinsamen Mittag- bzw. Abendessen, das bietet reichlich Gelegenheit zum Kennenlernen und zu angeregten Gesprächen. Auch die Konzerte der Kollegen verfolgt man gemeinsam. So sitze ich dann beispielsweise mit Mauro Ferrarese und Marco Pandolfi auf dem Rasen und wir lauschen gemeinsam der wunderbaren Musik von Doug MacLeod.

Überhaupt liegt über diesem Festival eine äußerst familiäre Atmosphäre. Die Hälfte des 600 Seelenstädtchens La Chèze scheint irgendwie mit in der Organisation und der Umsetzung involviert zu sein, vom Soundmix bis zum Getränke- und Speisenverkauf passiert alles auf Initiative der freiwilligen Helfer. Es gibt sogar ein gut funktionierendes Jugendprojekt, das sich mit der Durchführung dieser Veranstaltung befasst. Die Jugendlichen werden mit bestimmten Verantwortungen und Aufgaben (wie zum Beispiel Licht oder Bühnenauf- und -umbau) in die Abläufe eingebunden.

Doug&Co

Doug McLeod, Mauro Ferrarese, Mr. Banana, Mirco Capecci, Maurizio Pugno

Apropos Speisen: Galette wird aus Buchweizen hergestellt und ist die herzhafte Variante der bretonischen Crêpe. Sie wird hier angeboten – und das ist der Renner – als Galette Saucisse, einer Bratwurst vom Grill, eingerollt in eben einer Galette. Irgendwer, ich glaube, es war Tonky, hat dieses Gericht scherzhaft als „bretonischen Hot Dog“ bezeichnet.

Die meisten Konzerte finden unter freiem Himmel statt, der bretonische Wettergott, ist Bluesfan und so haben wir bis auf einen halben bewölkten Tag immer feinsten Sonnenschein. Diese open air Veranstaltungen sind für die Besucher kostenfrei. Lediglich für die beiden Abendveranstaltungen am Freitag und Samstag wird ein Eintritt von je 10 Euro erhoben, Kombipreis für beide Konzerte 17 Euro. Das ist äußerst bescheiden und nur möglich, da das Festival neben den freiwilligen Helfern auf eine stabile Zahl von Sponsoren zurückgreifen kann. Darüber hinaus fließt der Reinerlös in die Kasse zur Instandhaltung des historischen Herrenhauses des Schlosses. Ein von Begeisterung für den Blues getragenes Non- Profit Unterfangen also.

MMM

Maurizio Pugno, Mauro Ferrarese, Marco Pandolfi

Die fünf Tage und Nächte vergehen wie Flug. Immer wieder gibt es tolle Konzerte mit magischen Momenten. Sehr beeindruckend finde ich die beiden Auftritte von Doug McLeod. Der Mann hat etwas Magisches, ja Mystisches. Er versteht es, sein Publikum ohne Umschweife in seinen Bann zu ziehen. Als Musiker ist er absolute Weltklasse, dazu ist er ein begnadeter Songwriter und versteht sich auch bestens auf die Moderation seiner Titel. Man kann nicht anders, man muss ihm zuhören. Und das ist jede Sekunde wert.

Harmonien überall und nicht nur was die das Musikalische angeht. Es ist ein friedliches Fest mit vielen Menschen, die eins verbindet: Die Liebe zur Musik, die Liebe zum Blues. Wenn man bedenkt, wie viele Vertreter verschiedener Nationen hier auf einander treffen, fällt es einem noch schwerer zu verstehen, wie sich Menschen kriegerisch in die Haare bekommen können.

Vor 40 Jahren war Woodstock, das ist die kleine Jubiläumsausgabe hier.“, sage ich zu Tonky. Der lacht und meint: „Right, but where are the naked girls?“

Sonntag, 23.08.2009

Der heutige Abend und damit auch das Festival schließt mit einer gigantischen open air Jam- Session. Alle verbliebenen Akteure betreten nochmals die Bühne, um mit der Band um Mike Sponza den einen oder anderen Überraschungstitel zu improvisieren. Ein grandioser Abschluss eines grandiosen Festivals mit grandiosen Musikern. Bereits, als der letzte Ton verklungen ist, macht sich etwas wie Melancholie breit, nicht nur bei mir, sondern bei allen Beteiligten, den Tonleuten, den Musikern, den Zuschauern, den Veranstaltern. Es war ein Mammutprogramm. Ja, in der Tat. Es war eine Riesendosis Blues. Für mich ist klar, dass ich von all dem Erlebten erst einmal Abstand gewinnen muss. Es war viel, sehr viel. Eindrücke, Gespräche, Begegnungen mit Menschen, die einem schnell ans Herz wachsen.

Byebybe

Abschiedsfoto

Alle werden zu einem Abschlussfoto in den Saal gebeten. Für alle Beteiligten gibt es noch eine Paket mit bretonischen Spezialitäten. Abschiedsstimmung macht sich breit. Einige bleiben noch den Montag. Ich werde weiter ziehen. Noch ein paar Tage Urlaub in der Bretagne, diesem schönen Fleckchen Erde. Eins wird sicher bleiben: Die Erinnerung an ein tolles Bluesfest. Lob und Danke an die Organisatoren und Musiker, alle haben einen super Job gemacht. Hier die Liste der an der Ausgabe 2009 von «Blues au Châateau» beteiligten Künstler:

Aus Frankreich: Matthieu Pesqué & Roll Pignault so wie Texaroma, aus Spanien Tonky de la Peña, aus Italien Maurizio Pugno, Mauro Ferrarese, Marco Pandolfi, Mike Sponza, J. Sintoni & Mr. Banana, Enrico Crivellaro, aus Österreich Raphael Wressing, aus Schottland Dik Banovich, aus den Niederlanden Little Louis, aus Kanada Mike DeWay und aus den USA Doug MacLeod.

Ich habe eine Menge netter Leute kennen gelernt. Mit Mauro Ferrarese und Tonky de la Peña habe ich ausgedehnte Gespräche über Musik und das Leben geführt. Wobei das Eine durchaus für das Andere stehen kann. Und umgekehrt. Die Grenzen verlaufen hier ziemlich schnell und leicht. Mit Beiden verbindet mich etwas Bleibendes. Das war bislang unentdeckterweise schon vorher so und wird es von nun an auch sicher bleiben. Auch wenn wir uns vorher nie gesehen hatten, so gehen wir jetzt als Freunde auseinander. Ähnlich geht es mir mit Maurizio Pugno, Mathieu Pesqué und Roll. Und klar, natürlich auch mit Philippe. Wir werden alle in Kontakt bleiben und uns hoffentlich bald wiedersehen.

Load-out

The Load-out: Philippe, Tonky & Helfer

À l’année prochaine, si le ciel me ne tombe pas sur la tête…bis zum nächsten Jahr, wenn mir der Himmel nicht auf den Kopf fällt…Vive le blues…

PS
Die Kontakte bestehen nach wie vor:

Philippe und Ronan sind bereits fleißig bei den Vorbereitungen für die Ausgabe 2100 von «Blues au Château». Erst heute erreichte mich eine Mail von Maurizio und wenn alles klappt, werden wir uns im Dezember wiedersehen. Mauro schreibt mir ebenfalls heute, dass noch dieses Jahr eine neue CD einspielen will und dass er im Winter lieber auf Wein umsteigt und das Bier dem Sommer überlässt. Und irgendwann werde ich die vertraute Frage wieder hören: „Un‘ altra birra, Tony?