Umbrisches Tagebuch – Teil 12 – 10.02.2010 – Von Ancona nach Hause

Ancona - Aeroporto

Ancona - Aeroporto

Mich erwartet ein üppiges Frühstücksbüffet mit Marmelade(n), Käse, Schinken, Salami, Joghurt, Müsli, Brot, Kuchen und Kaffee aus einem utopisch aussehenden Gefäß oder wahlweise heißem Wasser zur Teeaufbereitung, wobei verschiedene Teesorten in Aufgussbeuteln bereitliegen.

Ich entscheide mich für Kaffee, den ich allerdings erst nach einigen Try and Error Läufen in meine Tasse bekomme.

So sitze ich gemütlich im Wissen, genügend Zeit zu haben, der Flieger geht erst um 12:15Uhr. Ich gönne mir also die Muße und genieße so vor mich hin.

„Du, Tony, ich komme heute etwas später zur Arbeit, ich habe den Zug verpasst. Kannst du bitte Bescheid sagen?“ Die Stimme, die aus dem Handylautsprecher an mein Ohr dringt, gehört meiner lieben Kollegin B. „Gut, dass ich Bescheid weiß, ich sitze gerade in Ancona beim Frühstück, wenn du dich beeilst, schaffst du die Frühmaschine noch hierher. Dann kannst du mich hier abholen und wir fliegen zusammen zurück.“

Heutige Handys können ja schon viel, sogar Fragezeichen in den Augen übertragen, völlig problem- und lautlos. Denn so deute ich die rauschende Pause von einigen Sekunden.

„Öhem, bist du gar nicht in der Firma?“, spricht die Stimme jetzt ziemlich verlegen und gleichermaßen zögerlich. „Nöö, ich fliege heute Mittag erst zurück. Ruf besser in der Zentrale an und sag, dass du später kommst.“

Leicht amüsiert und schmunzelnd stecke ich das Handy wieder in Tasche, gehe auf mein Zimmer, hole mein Gepäck und verabschiede mich vom freundlich grüßenden Signore an der Rezeption.

Zeit habe ich noch genug bis zum Einchecken. So mache ich mit mir selbst die Wette, den Weg zum Flughafen auch ohne Navi zu finden. Kurzfristig habe ich dann das Gefühl, falsch abgebogen zu sein, doch nach fünf Minuten weiterer Fahrt kann mich ein Schild mit der Aufschrift „Aeroporto“ und entsprechendem Richtungspfeil wieder beruhigen.

Panda & Panda

Panda & Panda

Ich finde eine Tankstelle, der Wagen muss vollgetankt zurückgegeben werden. Hier muss ich mal ein Kompliment an den kleinen Panda machen, sein Verbrauch lag bei der ganzen Fahrt knapp unter sechs Liter.

Den Flughafen finde ich ohne Umwege. Der Schalter des Autoverleihers ist nicht besetzt, von der benachbarten Konkurrenz bekomme ich die Auskunft, die Signora käme gleich zurück, sie sei noch beim Autoreinigen.

Nach etwa fünf Minuten erscheint sie dann, bittet um Entschuldigung, fragt, ob ich zufrieden sei. Ich bin’s und bedanke mich für den guten Service. Mit einem leicht wehmütigen letzten Blick auf den Panda, begebe ich mich zur Abflughalle.

Obwohl noch reichlich Zeit ist, kann ich schon einchecken und das Gepäck aufgeben. Der Security- Check verläuft problemlos.

Flieger

Flieger

Pünktlich schwebt der Flieger ein. Der Turnaround verläuft planmäßig und so sitzen wir alle pünktlich in unseren Sitzen.

Einige der Mitpassagiere erkenne ich wieder, sie waren schon beim Hinflug vor einer Woche mit an Bord.

Der Flug an sich verläuft unspektakulär. Keine Sekunde gibt es nach dem Start Bodensicht. Unter uns eine dichte weiße Wolkendecke, über uns nur Blau, Himmelsblau. Ab und zu treffen ein paar Sonnenstrahlen durch die Fenster.

Der MP3- Player versorgt mich mit Musik von Little Feat. Ab und zu werden Turbulenzen angezeigt und Anschnallen ist angesagt. Doch es rappelt nicht mehr als in einem Überlandbus.

So landen wir dann pünktlich in Weeze, das Gepäck läuft vom Band und draußen wartet schon der Shuttlebus, der mich nach Köln bringen wird.

 Bis der allerdings startet, vergehen noch 45 Minuten. Dann geht es durch den einsetzenden Schneeregen auf die Autobahn Richtung Düsseldorf. Hier leert sich der Bus um mehr als die Hälfte der Passagiere.

In Köln bekomme ich relativ schnell einen Zug nach Düren, wo mich mein Auto dann hoffentlich unversehrt vor dem Bahnhof erwartet.

Je mehr wir uns Düren nähern, umso dichter wird das Schneegestöber. Hier ist noch so richtig Winter. Mein Auto ist bedeckt von einer etwa 15 Zentimeter dicken Schneeschicht. Die Scheiben sind vereist. Mit einiger Mühe bekomme ich sie frei.

Nur noch nach Hause. Ich bin müde. Ohne Probleme springt der Wagen an. Beim Losfahren bemerke ich, dass der Straßenbelag ziemlich rutschig ist. Und da gerade Rush- Hour ist, benötige ich bis zur Stadtgrenze geschlagene 90 Minuten, eine Entfernung, die sonst je nach Tageszeit und Verkehrsaufkommen in drei bis zehn Minuten zu schaffen ist.

Der Flug über 1500 Kilometer hat keine 90 Minuten gedauert. Setzt man das  in Relation zu den drei bis vier Kilometern in der gleichen Zeit hier vor Ort, weiß man nicht, ob man weinen oder lachen soll.

Nach einer weiteren verschneiten halben Stunde bin ich dann wieder Zuhause.

Epilog.

Was nehme ich mit aus diesen acht Tagen Spontanreise?

Es sind so viele Eindrücke, die sich nur langsam verarbeiten lassen.

Die Flüge haben mir, dem bisher dezidierten Nichtflieger, Spaß gemacht. So bin ich hier aufden Geschmack gekommen und bisher unerreichbar scheinende Ziele rücken näher.

Italien ist immer wieder eine Reise wert, wenn sie mich auch so schnell nicht wieder an die Adria führen wird. Aber es gibt noch so viel zu entdecken.

Die Tage in Gubbio mit Maurizio und seinen Leuten waren ein Erlebnis, das Worte gar nicht in den Griff bekommen und das so schnell nicht aus meiner Erinnerung verloren gehen wird. Die Musik, die Musiker, die Freunde, das Drumherum, einmalig. An der Stelle ist ein kräftiges Danke fällig. An alle die, die ich begleiten durfte, die längst zu Freunden geworden sind. Ich freue mich auf ein Wiedersehen. Aber so was von.

Die italienische Küche. Jetzt könnte ich wieder anfangen zu schwelgen. Ja, sie ist einfach fantastisch und mehr als man aus Kochbüchern erlesen kann. Zum richtigen Genuss gehört auch das richtige Ambiente, auch wenn die TV- Geräte hier dieses etwas eintrüben. Aber Spagetti schmecken nur mal so richtig richtig nur in Italien. Um die gesammelten Kalorien wieder los zu werden, hätte ich eigentlich dem Heimweg zu Fuß antreten müssen.

Die Ruhe, die ich unerwartet aufsaugen konnte und die mir wieder Kraft gibt, von der ich immer noch zehre, auch heute noch drei Monate später.

Kurzum: Es war ein Erlebnis, wie es kein zweites Mal sein wird. Deshalb eben einzigartig. Und es hat mir wieder einmal gezeigt, dass es gut sein kann, ohne große Planung sich spontan in ein kleines Abenteuer zu stürzen.

So war es, so ist es, so soll es sein! 

Grazie per tutto….ciao e a presto!

Umbrisches Tagebuch – Teil 11 – 09.02.2010 – Von Porto Recanati nach Ancona

Sirolo - Ein Blick zurück - gewiss ohne Zorn

Sirolo - Ein Blick zurück - gewiss ohne Zorn

An diesem vorletzten Tag meiner Italien Stippvisite macht sich irgendwie in mir das Gefühl breit, dass dies wieder einmal der berühmt- berüchtigte Tag zu viel ist. Buchungstechnisch war dies nun einmal anders nicht üblich. So krieche ich förmlich die letzten 25 Kilometer bis Ancona zurück.

Ich nähere mich dem Örtchen Sirolo und dem Monte Conero, der über 500 Meter über das Meer ragt.

Nachdem ich das Einbahnstraßengewirr durchblickt habe, finde ich endlich den befahrbaren Zugang nach Sirolo. Vor der Kirche finde ich einen Parkplatz. Der Blick auf die unten liegenden kleinen Sandbuchten ist wunderschön. Fotos können dies nur schwerlich und ungenügend darstellen. Trotzdem klickt meine Kamera mehrmals, ich will nichts unversucht lassen, dieses Panorama auf die Speicherkarte zu bannen, um es mir so für später zu bewahren.

Sirolo - Gelateria

Sirolo - Gelateria

 Ein paar kleinere Geschäfte, eine Gelateria, ein paar Restaurants, Hotels, ein Campimgplatz. Atmosphärisch enge Gässchen. Ein netter, ruhiger Ort zum durchatmen und verschnaufen. Dazu so ganz anders als die modernen Betonwüsten, von denen ich im wahrsten Sinne mittlerweile genug (gesehen) habe. Alles liegt im Dornröschenschlaf und scheint auf den Weckruf der kommenden Urlaubssaison zu warten

 Bei meinem weiteren Weg biege nach rechts ab, um mich nach Portonovo zu begeben. Hier ist natürlich auch alles verlassen, an sich ein schönes, idyllisches Strandfleckchen, dem der fragwürdige Stempel der Zivilisation in Form von herunter gekommenen Strandbuden und weit verteiltem Müll aufgedrückt wurde. Zum weiteren Verweilen lädt mich dieser Ort dann auch nicht gerade ein.

Portonovo

Portonovo

 So bin ich etwa 20 Minuten später im dicksten Staßengewimmel von Ancona. Was man kennt, das kennt man, denke ich und parke wieder auf der Piazza Carlo e Nello Roselli gegenüber dem Bahnhof.

 Die Signora an der Rezeption des Hotels Gino erkennt mich wieder, gibt mir aber mit einem Lächeln zu verstehen, dass alles belegt sei. Dieses wiederum vermag ich nicht zu glauben, da das gesamte Haus ziemlich ausgestorben wirkt.Nun denn. So marschiere ich stracks ins nächste Hotel am Platze, wo ich ohne Umschweife sofort ein Zimmer bekomme. Das Hotel Fortuna liegt dem Bahnhof direkt vis-à-vis. Das Zimmer im dritten Stock ist ok. Die riesige Bahnhofsuhr, teilt mir mit, dass es 13.35 Uhr ist.

Ancona - Bahnhof

Ancona - Bahnhof

Zeit genug, ein wenig das Viertel zu erkunden. Entlang der Piazza gibt es ein Internetcafé, ein paar Imbissbuden, einen kleinen Lebensmittelladen, einige kleinere Restaurants. Weiter stadteinwärts stoße ich auf einen Supermarkt.

 Ein Besuch im Internetcafé, um mal so nach dem Rechten zu sehen. Nachdem, was mich ab morgen wieder – und das weiter nördlich – erwartet.

Ich beschließe in Rücksichtnahme auf die sich immer weiter leerende Reisekasse, mir mein Abendmahl individuell zusammenzustellen und auf einen Restaurantbesuch zu verzichten. So erstehe ich einige Scheiben Käse, Salami, zwei Tomaten, Weißbrot, ein Schälchen Antipasti mit Oliven und Peperoni, eine Flasche Wasser und eine Flasche Rotwein.

Mit meiner Beute in der Plastiktasche gehe ich zurück ins Hotel. Das Ganze hat gerade mal sechs Euro gekostet.

Auch ein solches Abendbrot macht satt und schmecken tut es obendrein.

Gegen elf sinke ich ermüdet in die Kissen, denke noch irgendwas und schlafe darüber ein.

Ancona - Hotel

Ancona - Hotel

Gegen sechs bin ich wieder putzmunter, nehme eine heiße Dusche und bereite mein Gepäck für den Rückflug vor.

Umbrisches Tagebuch – Teil 3 – 03.02.2010 – Ancona

 Für den Fiat finde ich einen Parkplatz mit Parkuhr am Hafen. Ich habe beschlossen, ein wenig Sightseeing zu betreiben. Den Mantel lasse ich im Auto, für meine Begriffe ist es warm genug. Die Einheimischen scheinen hier anderer Meinung zu sein. Eingehüllt in dicken Daunenjacken oder Mänteln bewegen sie sich durch Anconas Straßen. Mir fällt ein und auf, dass ich keine Sonnenbrille mitgenommen habe. Die Kameratasche geschultert, mache ich mich auf den Weg in die Innenstadt. Gleichzeitig halte ich Ausschau nach einer Bleibe für die Nacht. Ich finde ein, zwei Hotels, die mir aber zu teuer sind.

 Nach zwei Stunden Herumlaufens und immer noch keiner Übernachtungsmöglichkeit, entschließe ich mich, ein wenig aus der Innenstadt herauszufahren.

 Gegenüber vom Hauptbahnhof entdecke ich mehrere Hotels. Das Hotel Gino macht von außen einen netten Eindruck. Ich frage die ebenfalls nette Signora an der Rezeption auf Englisch nach einem Einzelzimmer. Sie versteht, antwortet ihrerseits allerdings auf Italienisch. Für 35 Euro kann ich ein Zimmer haben inklusive „prima colazione“, also Frühstück. Na toll. Dann schreibt sie mir noch einen Parkschein für meinen Panda, den ich auf der kleinen Piazza neben dem Hotel somit ohne Angst vor wüst Knöllchen schreibenden Politessen. Allerdings kostet das Ausstellen des Scheins einen Euro extra.

 Das Zimmer ist ok, ich öffne erst einmal die Fensterläden um Licht und Luft hineinzulassen. Mit einem Schlag spüre ich, dass die Müdigkeit mich fest in den Griff nimmt. Die Stiefel streife ich noch von den Füßen, dann kippe ich sanft nach hinten auf das Doppelbett und bin wahrscheinlich nach ein paar Sekunden schon im Reich der Träume.

 Es ist bereits dunkel, als ich wieder wach werde. Ein Blick auf die Zeitausgabe meines Handys verrät mir, dass es 19:35 Uhr ist.

 Zum Hotel gehört auch ein Restaurant. Hunger habe ich reichlich, also nehme ich für meinen Weg nach unten die Treppen statt des Aufzugs.

 Da ich alleine bin, bietet der Ober mir einen kleinen „Katzentisch“ am Rande des Lokals an. Die Preise sind moderat. Ich habe Lust auf Pasta. Eine Portion Spaghetti Carbonara kostet 3,50 € und ein halber Liter Rotwein alla casa 4,00 €. Dementsprechend fällt meine Bestellung aus.

 Der Wein wird in einer Karaffe serviert, dazu bekomme ich ein Körbchen mit Weißbrot gereicht.

 Der erste Schluck von dem Vino rosso, es ist gleich ein sehr Kräftiger, holt mich auf den Boden zurück. Die zweite Landung am heutigen Tag quasi. Er schmeckt gut. Er tut gut. Genau das richtige für das Hier und das Jetzt.

 Ich sinniere darüber, wie lange ich nicht mehr in Italien war, rechnen kann ich da, wie ich will, so knappe 30 Jahre werden es wohl sein.

 Da ich seit heute früh nichts mehr gegessen habe, steigt mir der Wein gleich leicht ins Gemüt. Schnell noch einen Bissen Weißbrot. Der Ober bringt den Teller mit den wohl duftenden Spaghetti. «Carbonara e una…». Nein, die Cola lasse ich besser weg, ich widme mich lieber dem guten Roten.

 Der Teller ist gut gehäuft gefüllt. Genau die richtige Menge für einen lebenshungrigen Reisenden. Ich streue ordentlich Parmesan über die Pasta und rolle die ersten Nudelstränge um die Gabel. Mann, was tut das jetzt gut! Ein erstes Hoch auf die italienische Küche! Weitere werden noch folgen. Soviel sei schon verraten.

 Ich lasse mir Zeit und damit auch die gesamte entspannte Atmosphäre in diesem Lokal auf mich wirken. Die Menschen hier, ihre Sprache, Mimik und Gestik. Es tut gut, einmal wieder auf die seelische Bremse zu treten. Das rastlose Hasten und das ewige Auf-die-Uhr-Schauen einmal abzustellen. Ich bade im Wohlbefinden. Das einzig Störende hier ist der plärrende Fernseher, dessen aktiver und impertinenter Anwesenheit sich nur ganz schwer entziehen kann. Und es wird nicht die letzte Begegnung mit einem Exemplar dieser Spezies in einer Lokalität wie dieser sein. Soviel sei weiter verraten.

 Einen solchen kulinarischen Leckerbissen gilt es noch abzurunden. Das tue ich mit einem Kaffee und einem Grappa. In dem beinahe Fingerhut großen Tässchen befindet sich das tiefschwarze Gold eines italienischen Espressos, dessen aromatischer Duft mir beim Anheben des Trinkgefäßes Richtung Mund genüsslich in die Nase steigt. Ein winzig kleiner Schluck nur, gerade so viel um einen heißen Hauch des Getränks auf meine Geschmacksnerven zu bekommen und dann etwa doppelt so großes Nippen am Grappaglas und der Genuss neigt sich der Vollendung entgegen.

 Glücksmomente können gewiss ganz unterschiedlich sein. Aber der hier und in diesem Augenblick, hat etwas Bleibendes. Das Leben ist auf diese Art einfach mehrfach so schön.

 Ich atme genüsslich und dementsprechend langsam ein. Bin mir ganz bewusst, dass es mir gut geht in diesem Moment. Besser als vielen anderen Menschen auf dieser Welt. Aber ich kann das stehen lassen.

Umbrisches Tagebuch – Teil 2 – 03.02.2010 – Flug und Landung in Ancona, Italien

 

Über den Wolken...

Über den Wolken...

Von nun an ist unter uns alles weiß und über uns alles blau. Hier oben scheint die Sonne. Diese Tatsache beflügelt mein Wissen darüber, dass ich mich zum ersten Mal in meinem Leben von der Erde weg in die Lüfte begeben habe. Es ist toll. Einfach nur toll. Fliegen ist schöner. Schöner als ich es je gedacht habe. Nein, Angst habe ich keine. Hatte ich auch nicht. Es stimmt schon: Man muss los lassen, abgeben hier. Sich verlassen darauf, dass die Menschen da vorne in der Pilotenkanzel ihr Handwerkverstehen, genauso wie die, die sich um die Technik und das Wohlverhalten eines so hoch komplizierten Verkehrsmittel wie einem Flugzeug sorgen.

Über den Wolken

 Äußere Bezugspunkte hat man kaum bei einer so glatt gezogenen Wolkendecke unter sich. So entsteht der Eindruck des Stillstands in der Luft. In der Ferne durchstreift ein weiterer Jet das Blau.

 Die niederländische Dauerunterhaltung in der Reihe hinter mir ist verstummt, ab und zu hört man ein paar Wortfetzen von irgendwo in der Kabine, aber die sind im allgemeinen Soundspektrum so weit nach hinten gemischt, dass sie kaum ins Gewicht fallen. Das gleichmäßige Surren der Triebwerke ist die hauptsächliche und momentane Geräuschkulisse.

Ich denke nicht, zu mindestens nicht viel. Ich staune nur. Das ich mich bewege von A nach B und das, ohne mich im Eigentlichen groß selbst zu bewegen.

 Dann sehe ich Bergspitzen unter uns auftauchen, in der Ferne noch, doch sie rücken immer näher. Können das denn wirklich schon die Alpen sein? Der Bezug zur Zeit und das Gefühl hierfür sind mir gänzlich entschwunden ebenso wie Bezug und Gefühl zum Raum. Es sind die Alpen, ja, sie müssen es sein. Der Blick von hier oben ist einzigartig. Es beeindruckt mich stark. Karge, schroffe, mit Schnee bedeckte dunkelgraue Steinhaufen planlos an einander gereiht.

 Dann wird die Landschaft wieder flacher. Ich freue mich, dass der Blick nach unten nicht wieder durch eine Wolkendecke verstellt ist.

 Ein großer Fluss schlängelt sich durch eine schneebedeckte Ebene. Ich krame in meinem verbliebenen Geographiewissen. Das muss der Fluss sein, nach dem in Kreuzworträtseln gerne gefragt wird. Der Po. Und die dazu gehörige Ebene.

 In einiger Entfernung glitzert etwas. Einige Flugminuten später ist mir klar, dass es sich hierbei um das Mittelmeer handeln muss, ja es ist die Adria.

 Das Zeichen zum Anschnallen der Gurte blinkt auf und wird auch gleich durch die Ansage des Captains bestätigt. „Wir werden in weniger als 15 Minuten landen.“

 Huch! War das denn jetzt wirklich schon alles? Die Zeit vergeht hier über den Wolken bei grenzenloser Freiheit, sieht man mal von den einengenden Gurten ab,  wirklich und wörtlich im Fluge. Mir kommt das Ganze wie ein maximal halbstündiger Himmelsritt vor. Dabei werden nach der Landung tatsächlich 90 Minuten vergangen sein.

 Der Flieger neigt sich ein wenig zur Seite. Wir fliegen wohl eine Kurve. Der Landeanflug führt uns über befahrene Straßen, man kann die ersten Autos fahren sehen, Häuser, sogar vereinzelte Fußgänger sind zu erblicken. Der Strand der Adria. Und jetzt, jetzt sind wir über dem Wasser. Wie war das noch mal mit der Schwimmweste? Der Gedanken verdrängt sich wie von alleine bei dem Anblick auf zwei in Seelenruhe auf dem Meer tuckernder Schiffe. Ich genieße den Ausblick von hier oben.

 Irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Nase unseres Stahlvogels jetzt nach unten zeigt. Richtig! Der Abstand zu Mutter Erde wird immer geringer.

 Schrebergärten in Italien? Ja, ganz klar. Ganz deutlich. Hier kurz vor dem Flughafen.

 Touchdown. Die Räder setzen auf. Ein Rütteln geht durch die Maschine. Bremsgeräusche. Quietschen. Der eigene Körper wird nach vorne gedrückt. Die Erde hat uns wieder. Das Flugzeug rollt aus, lenkt dann nach links ein und in gefühltem Schritttempo rollen wir auf das Flughafengebäude zu.

 Stopp. Die Türen öffnen sich, die Treppen werden heran gerollt. Wir dürfen aussteigen. Meinen Handgepäcktrolley, der hauptsächlich meine Fotoausrüstung beherbergt, befreie ich aus seinem Käfig.

 Die Sonne scheint, die Wolken sind aufgerissen, es ist spürbar wärmer als in Deutschland. Beschwingt ziehe ich mein Gepäck auf seinen kleinen Rädern hinter mir her, marschiere in die Empfangshalle, wo einige uniformierte Herren von Zoll und Polizei jeden Ankömmling intensiv mustern. Ich grüße mit einem freundlichen „Buon giorno“ und passiere die Sicherheitstür.

 Wie komme ich jetzt an mein restliches Gepäck? Als die Sicherheitstür sich für einen meiner Mitreisenden öffnet, fällt mein Blick auf das Gepäckband.

 Der Mann am Schalter bestätigt meinen Verdacht, dass ich übereilt daran vorbeigegangen bin. Also warte ich, bis sich die Tür wieder öffnet und schlüpfe wieder in den Ankunfts- und gleichzeitgien Sicherheitsbereich. Was ich wohl nicht hätte tun dürfen. Denn gleich gibt es Geschrei und drei Uniformen stürzen auf mich zu. Derweil zieht der Trolley mit meinen Klamotten seelenruhig seine Runden auf dem Transportband.

 Mein vermutlich allzu sehr gebrochenes Italienisch bemühe ich erst gar nicht, um den Uniformen zu erklären, dass ich weit davon entfernt sei, ein Sicherheitsrisiko zu sein. Also sage ich kurzerhand auf Englisch: „I forgot to pick up my luggage.“ Die eine Uniform versteht das, zur Sicherheit will sie noch meine Bordkarte sehen und ihr angestrengt dienstlicher Blick weicht schließlich einem erleichterten Lächeln und einem „Ok. Grazie e una buona giornata.“ Ich antworte mit einem „Grazie mille. Arrividerci.“ Und die Uniformen winken mir freundlich hinterher.

 Übers Internet hatte ich bereits einen Leihwagen geordert. Ihn bekomme ich nach Erledigung einiger kleinerer Formalitäten auch sofort ausgehändigt. Das heißt, zunächst nur den Schlüssel. Der kleine bronzefarbene Fiat Panda 1,2l wartet auf mich auf Parkplatz Nummer 21. Meine Trolleys finden in seinem Kofferraum Platz und ich auf dem Fahrersitz. Ancona, ich komme.

Unterwegs nach Ancona

Unterwegs nach Ancona

 Ich verlasse das Flughafengelände, suche vergebens nach einem Ancona- Schild. Also fahre ich einfach mal so drauf los, Ancona wird sich schon finden. Aber nichts dergleichen. Auf dem Parkplatz eines deutschen Discounters, der mit seinen gelben Schildern auf blauem Grund auch in Italien auf sich aufmerksam macht, krame ich mein mitgebrachtes Navisystem aus, gebe Ancona ein, pappe den Halter an die Windschutzscheibe und nach einer Viertelstunde halte ich innerlich- feierlichen Einzug in die Stadt, in der ich heute nächtigen werde.

Umbrisches Tagebuch – Teil 1 – 03.02.2010 – Der Start

Der Flieger

Spätestens um vier muss ich von Zuhause los. Es geht überraschend nach Italien. 4:53 Uhr fährt mein Zug ab Düren. Der Shuttle- Bus nach Düsseldorf Weeze geht ab Köln um 6 Uhr.  Schneetreiben. Gnadenlos und unaufhörlich. Sichtweite vielleicht schlappe 50 Meter. Die Straßen sind gerade noch so befahrbar. Mehr als 40/50 km/h sind aber nicht möglich. Mein Auto wie geplant auf dem Firmengelände abzustellen, schaffe ich nicht mehr. Das Tor zu öffnen und wieder zu schließen und ca. 8 Minuten Fußweg bis zum Bahnhof bei der Witterung, nein, das wird zu knapp! Also stelle ich meinen Wagen auf dem Park & Ride Parkplatz direkt vor dem Bahnhof ab.

Nachdem ich den Kampf mit dem Fahrkartenautomat der Deutschen Bahn für mich entschieden habe, also nun einen gültigen Fahrausweis mein eigen nenne, erklimme ich mit meinen beiden Trolleys die Treppen zum Bahnsteig 6, wo bereits meine S-Bahn wartet. Einen Platz zu finden, ist gar nicht schwierig, der Wagon gähnt schier vor Leere. Gähnen tue ich auch, allerdings vor überfallsartiger Müdigkeit, nachdem ich mich endlich in der Heizungswärme niedergelassen habe.

Mann, was für eine Nacht! Keine Sekunde geschlafen. Am Vorabend das Konzert von Bernard Allison in Köln, dann noch auf einen „Halven Hahn“ und zwei Kölsch ins Brauhaus.  Gespräche. Der Ritt durch den einsetzenden Schneefall zurück nach Hause. Da war ich kurz nach zwei Uhr. Gepackt hatte ich noch nicht. Ein paar Mails mussten auch noch raus. Wer weiß, wann ich wieder ans Internet komme.

Haltestelle für Haltestelle füllen sich die Wagons. Dann endlich Köln Hauptbahnhof. In einer Bäckerei versorge ich mich noch schnell mit ein paar Laugenstangen und einem Käsebrot. Dann zum Breslauer Platz zur Haltestelle des Bus- Shuttles nach Weeze. „Kollege kommt gleich.“, sagt der Fahrer des Busses, der nach Frankfurt Hahn shuttelt.

So ist es dann auch. Mit drei Passagieren und einem Fahrer starten wir pünktlich um 6 Uhr Richtung Düsseldorf. Es geht die A 57 hinunter oder hinauf, doch das ist mir ziemlich egal, irgendwann bin ich eingedöst und irgendwann werde ich wieder wach, um gerade noch zu sehen, dass wir die Philippshalle passieren.  Düsseldorf, also. Aha. Am dortigen Hauptbahnhof steigen noch vier, fünf Menschen zu.

Im grauenden Morgen werde ich erst wieder wach, als wir kurz vor dem Ziel sind. Irgendwie fühle ich mich wie in dumpfe Watte gepackt. Wie nicht so ganz von dieser Welt. Fühle mich passiv. Es geschieht etwas mit mir und nicht ich bin der Handlungsinhaber. Nun ja, lass es geschehen, einfach nur geschehen.

Der Flughafen Weeze ist überall ausgeschildert. Leichter Schneefall auch hier, als wir zur Abfertigungshalle eilen. Ich komme dem allerersten Flug in diesem meinem Leben unausweichlich näher.

Gepäckaufgabe. Pass- und Bordkartenkontrolle. Security. Handgepäck aufs Band legen. Hosentaschen leeren. Inhalt in eine Plastikschale legen. Durch die Schleuse. Es piepst. Hosengürtel mit Metallschnalle? Ja. Gürtel aus! Noch mal durch die Schleuse. Es piepst. Vergessen hatte ich den Einkaufswagenchip. Noch mal Schleuse. Es piepst nicht. Zur Sicherheit werde ich noch mit einem Handgerät abgetastet. Nichts piepst mehr. Ich darf meine Sachen wieder an mich nehmen und bin somit für das Boarding frei geschaltet. Uff!!

Gate 8

Gate 8. Hier soll ich warten. Ich warte. Immer mehr Flugwillige finden sich ein. Ein offensichtlicher und italienischer Geschäftsmann führt in munterem Ton mit seinem Handy Gespräche über Termine und Kaufkonditionen. Seine Ansprechpartnerin ist zunächst eine Dame namens Francesca. Ich bin überrascht, dass ich seine Sprache so verstehe, obwohl ich sie eigentlich nie gelernt habe. Ich meine in Kursen, mit Grammatik- und Vokabellernen. Meine sechs Jahre Lateinunterricht vor mehr als 40 Jahren tragen also auch heute noch Früchte. Dann telefoniert er noch lebendig gestikulierend mit einem Signore Bertuzzi oder so, und dann noch mit einem Signore Goldoni. Und ich? Ich sitze nur da und bin müde und kann mich seinem Wortschwall nicht entziehen.

Per Ancona, uscita otto?“ Die ältere Dame lächelt mich an. „Si, si.“ . So knapp fällt meine Antwort aus. Und das ganz voller Freude, dass ich die Signora überhaupt verstanden habe. Von all den hier Anwesenden sehe ich nun wirklich nicht gerade am italienischsten aus. „Grazie mille.“, lächelt sie nun wieder.

Unsere kleine Schicksalsgemeinschaft wächst nach und nach an. Eine halbe Stunde vor dem Abflugtermin werden es etwa 60 bis 70 Menschen sein.

 Der Bus fährt vor. Ich nehme an, dass er uns übers Rollfeld zu unserer Maschine bringen soll. Boarding time. Für acht Euro mehr kann man sich beim Buchen eines Fluges bevorzugte Behandlung erkaufen. Das bedeutet dann, dass man vor allen anderen zuerst den Flieger besteigen kann. Diesen Zusatz habe ich nicht gebucht. Warum auch? Bescheiden wie ich bin, würde ich sogar als Letzter in die Maschine krabbeln. Tatsächlich dürfen sich die Passagiere mit der Zusatzbuchung in eine eigene Reihe stellen und werden auch als erste an dem Schalter behandelt, an dem man nochmals Bordkarte und Ausweis vorzeigen muss. Auch dürfen sie zuerst den Bus besteigen. Aber nachdem wir, die gemeinen Passagiere zugestiegen sind, verwischen sich die Grenzen augenblicklich. Also bitte!

 Der Busmotor brummt laut drehend, es riecht verstärkt nach Diesel. So stehen wir nun in diesem Zubringerbus und warten. Bis uns gesagt wird, wir müssten wieder aussteigen. Denn es gibt Probleme. Aha. Die Startbahn sei vereist. Aha. Und man wolle uns doch sicher in den Himmel, nein, in die Luft bringen. Aha. Ja, besser ist das. Die Durchsage kommt in Deutsch und in Englisch, Niederländisch wäre eigentlich auch sinnvoll gewesen, denn mehr als die Hälfte der Anwesenden ist wohl aus unserem Nachbarland. Und Italienisch ebenfalls.

 Wieder in der warmen Wartehalle steht mir plötzlich wieder besagte betagte Italienerin gegenüber und fragt mich, ob ich verstanden habe, warum  wir wieder aussteigen mussten. Mit einem „Si, si.“ komme ich jetzt nicht weiter. „É troppo pericoloso, c’é gelato sulla pista.“. Ich weiß nicht, ob dies irgendwelchen Grundregeln der italienischen Sprache entspricht, aber die Signora bedankt sich mit einem erneuten in Lächeln getauchtem „Grazie mille.“

 Warten. Eine Viertelstunde. In kurzen Abständen heben zwei Maschinen vom Rollfeld ab. Ist das Eis nun beseitigt? Eine weitere Viertelstunde. Und noch eine. Wir werden wieder in den Bus gebeten. Nochmals Papiere bereithalten. Die Für-acht-Euro-Zusatz-bevorzugt-zu-behandelnden-Passagiere werden bei diesem zweiten Anlauf nicht noch mal extra behandelt. Vielleicht hätte man ja auch dann 16 Euro mehr zahlen müssen. Alle erstürmen eiligst und gemeinsam und gleichzeitig den Bus. Nach weiteren fünf Minuten Dieselgestanks setzt der sich dann auch endlich in Bewegung.

 Wir erreichen das Flugzeug, dessen Flügel gerade nochmals enteist werden. Einsteigen. Ein letzter Blick der Stewardess auf die Bordkarte. Lächelnd weist sie mir einen Platz ab der Flugzeugmitte zu. Ich wähle einen auf der in Flugrichtung linken Seite direkt am Fenster. Das Handgepäck, das einem Gewicht von höchstens 10kg und maximalen Maßen auf 55cm x 40cm x 20cm entsprechen muss, landet im riesigen Staufach über meinem Sitz. Und dort ist für weiß Gott größere Gepäckstücke ausreichend Platz!

 Nachdem ich mich schon einmal vorsorglich mit dem Sicherheitsgurt vertraut gemacht habe, schaue ich aus dem kleinen, leicht beschlagenen Fenster. Direkt neben der Maschine steht ein Servicefahrzeug.

 Die Tür wird geschlossen. Das Bordpersonal klärt uns über Gebrauch von Atemmaske bei Sinken des Luftdrucks und Schwimmweste im Falle de Notwasserung auf. Die Notausgänge werden beschrieben.

 Dann wird’s Ernst. Der Flieger rollt an. Das Servicefahrzeug bewegt sich parallel dazu auf die Rollbahn. Kurzes Warten. Ich atme tief durch. Na dann. Jetzt soll’s wohl sein. Die Maschine bekommt die Freigabe und beschleunigt. Das Servicefahrzeug lässt sich nicht abschütteln und erst beim Abheben vom Boden wird mir klar, dass der vermeintliche Bodenbegleiter das linke Triebwerk ist. Ich muss in mich hineingrinsen. Hey, wir sind ja jetzt in der Luft! Häuser, Felder, Wiesen und Wälder werden immer kleiner, bis sie ganz verschwinden, als wir die Wolkendecke durchbrochen haben. Ich gähne, ob freiwillig oder nicht, egal: In den Ohren macht es „Plop“ und das Gehör scheint wieder freier zu atmen.