Umbrisches Tagebuch – Teil 5 – 04.02.2010 – Der Probentag

Maurizio Pugno

 „Wir hängen im Zeitplan hinterher.“ Maurizio wirkt etwas unruhig. Doch die Wiedersehensfreude ist ungetrübt. Seine Einladung, hierher zu kommen und die Produktion der Live- DVD mitzuerleben, habe ich sehr gerne angenommen.

 Da stehe ich nun wirklich auf den Brettern, die diese eine gewisse Welt bedeuten. Ich kannte sie bisher nur von den Fotos im Booklet zu Maurizio Pugno’s aktuellen Silberling „Kill The Coffee“, der genau hier eingespielt wurde. Hier, das ist das historische „Teatro Communale“, das Stadttheater von Gubbio, Maurizio Pugno’s Heimatstadt. Rot gepolsterte Sessel im Parkett, die gut 100 Leuten Platz bieten. Darüber im Halbrund vierstöckig angeordnete Logen.

Teatro Communale - Gio Rossi & Lucio Villani am Pianoforte

Teatro Communale - Gio Rossi & Lucio Villani am Pianoforte

 Auf, über, vor, an den Seiten und auch im Orchestergraben unterhalb der Bühne ist rege Betriebsamkeit. Scheinwerfer werden auf die Traversen geschraubt und justiert, Verstärker und Lautsprecherboxen werden platziert, Mikrofone werden ausgerichtet. Gio Rossi stimmt sein Drumset. Alberto Marsico rückt den großen, schwarzen Flügel in die richtige Position. Dann sausen seine zehn Finger mal eben so zu jazzig angehauchten Läufen über die weiß– schwarzen Tasten. Die Akustik an diesem Ort der Kunst ist einfach phantastisch. Man könnte durchaus ohne weitere tonale Verstärkung auskommen.

 Im rechten Winkel zum Pianoforte steht Alberto’s Orgel, Marke KeyB. „Jahrelang habe ich eine Hammond C3 mit mir herumgeschleppt, die ist toll, aber einfach zu schwer. Ich bin sehr zufrieden mit diesem Instrument jetzt, das wiegt nicht einmal ein Drittel von der C3 und klingen tut es auch noch.“ In der Tat, das tut es. Zwei Manuale, dazu Registerzüge, eine Effektsektion. Leslie Simulation. „Hiermit kann man alles spielen: Jazzig wie Jimmy Smith oder rockig wie Deep Purple.“ Entsprechende Soundbeispiele folgen diesem Statement. Der Sound ist eine Wucht und Alberto’s Spiel so wie so.

Bühne

Bühne

 Er gehört zweifellos zu Europas fähigsten Keyboardern. Wenn er nicht bei anderen Projekten wie der Maurzio Pugno Band spielt, betreibt er sein eigenes Projekt «Organlogistics», bei dem Gio Rossi auch die Trommeln rührt.

 Die Beiden haben übrigens gemeinsam schon bei internationalen CD- Projekten mitgewirkt: Da fallen Namen wie Alex Schultz, Tino Gonzales, Lars Kutsckhe und eben Maurzio Pugno, Mark DuFresne und Sugar Ray Norcia.

 Die zwei Letztgenannten werden für den heutigen Nachmittag erwartet.

 Nachdem Lucio Villani seinen Kontrabass gestimmt hat, bittet ihn Stefano, der für den Bühnensound verantwortlich ist, um ein paar Tonproben für die Grundeinstellungen am Pult. Lucio kommt dem nach, ruhige Bassläufe im Wechsel mit rhythmisch „angeschlagenen“, Saiten.

Lucio Villani

Lucio Villani

 Die Hornsection trifft ein. Das sind: Maurizios Bruder Mirko, Trompete, Giordano Palazzari, Posaune, Giordano Biccheri, Tenorsaxofon und Tiziano Fioriti, Baritonsaxofon.

 Stellprobe, Soundproben. Stakati. Akkordspiel. Solospiel. Was für ein Klang!

Horn Section

Horn Section

 Ich verabschiede mich für ein, zwei Stündchen in die Mittagspause, ich suche das von Maurizio empfohlene Ristorante auf und widme mich den wunderbaren kulinarischen Genüssen Italiens.

 Nach einem mit etwas Sightseeing verbundenen Verdauungsspaziergang, kehre ich zum Theater zurück.

 In der ersten Reihe haben Mark DuFresne und Sugar Ray Norcia Platz genommen und beobachten das Geschehen auf der Bühne. Die Wiedersehensfreude ist ebenso herzlich, es sind noch keine zwei Wochen seit unserem letzten Treffen im niederländischen Uden vergangen.

 In aller Seelenruhe warten die beiden Ex- Mitglieder der legendären Band „Roomful Of Blues“ auf ihren Einsatz bei den anstehenden Proben. Diese Zeit vertreiben sie sich mit scherzendem Small Talk. Es macht wirklich Spaß mit solch alten Haudegen des Business Gedanken auszutauschen oder einfach nur herumzualbern. Beide Herren sind jederzeit für einen Joke zu haben.

Mark DuFresne

Mark DuFresne

 Ihre Professionalität unterstreichen sie auch, als sie dann endlich auf der Bühne stehen. Geduldig und immer mit einer gehörigen Portion von Humor werden Songanfänge, Gesangs- und Mundharmonikapassagen geprobt. Das Ganze ein-, zwei-, dreimal oder bei Bedarf auch öfter.

 Quasi nebenbei schrauben die Tontechniker am Sound, hier ein paar Höhen raus, dort ein paar Tiefen dazu und ein paar Mitten weniger, ein wenig Hall auf die Stimme.

Alberto Marsico & Sugar Ray Norcia

Alberto Marsico & Sugar Ray Norcia

 Man arbeitet sich von Song zu Song und irgendwann ist es Abend und alle haben Hunger. Auch dafür gibt es eine Lösung: Der ganze Produktionstross setzt sich zu Fuß in Bewegung durch die abendlichen, mittelalterlichen Gassen in Richtung des schon oben erwähnten Restaurants. Unterwegs schwärmt Sugar Ray von den Vorzügen der Stadt Gubbio im Sommer und denen der italienischen Küche im Allgemeinen. Das sei eben das Schönste, wenn man in Italien produziert. „Aber dass wir mit den Proben in Zeitverzug sind, ist gar nicht so schön.“, meint Gio Rossi. „Wisst ihr, in Italien haben wir immer einen Plan A und einen Plan B. Wenn es dann so weit ist mit Plan A anzufangen, ist es für Plan A eh schon zu spät und wir beginnen direkt mit Plan B.“ Wir müssen laut lachen.

 Das Essen dauert etwa 90 Minuten. Dann begibt sich die gesamte Produktion wieder ins Theater. Erst gegen ein Uhr, es mag auch schon einiges später sein, vertagen wir uns auf den nächsten Vormittag. Bis zum Nachmittag muss dann alles stehen. Dann folgt der Abend der Wahrheit, der Abend des Konzerts und der Produktion, bei dem es dann kein Zurück mehr gibt.

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Umbrisches Tagebuch – Teil 4 – 04.02.2010 – Von Ancona nach Gubbio

Unterwegs nach Gubbio

Die Nacht verläuft ruhig, ich schlafe tief und fest. Wach werde ich gegen 8Uhr am anderen Morgen. Gut gelaunt begebe ich mich nach unten, wo das Frühstück schon wartet.

 Die nette Signora vom Vortag ist auch schon aktiv und fragt sogleich, ob ich Kaffee oder Tee haben möchte. Ich will Kaffee. Die Dame verschwindet hinter der Theke und macht sich an der Kaffeemaschine zu schaffen. Das Ergebnis ihrer morgendlichen Anstrengung stellt sie mir in einem Plastikbecher auf die Theke.

 Dann verweist sie auf einen Plastikbehälter, in dem sich vier in Plastik verpackte Croissants befinden. Vergeblich halte ich Ausschau nach Alternativen.

 Das Croissant schmeckt wie seine Verpackung schon ahnen lässt. Scheußlich. Der Kaffee ist ein tiefschwarzes bitteres Etwas, das man nur mit viel Zucker genießbar machen kann.

 Ein Biss, ein Schluck und schon will ich nicht mehr.

 Mich schüttelt es noch, als ich die Treppe hinauf gehe zu meinem Zimmer, um mein Gepäck abzuholen und danach gen Gubbio aufzubrechen.

 Ich freue mich auf das Wiedersehen mit Maurizio Pugno, dessen Einladung ich es zu verdanken habe, dass ich überhaupt nach Italien gekommen bin.

 Von ihm habe ich eine SMS mit der Hoteladresse bekommen. Es ist das Park Hotel in Gubbio. Die gebe ich in mein Navi und los geht es.

 Es sind etwas mehr als hundert Kilometer, sie führen mich durch einen Teil des Apennins. In Italien fährt man selten über Berge, nein man fährt meist durch sie durch. Tunnel nach Tunnel.

 Gegen 11:30 bin ich am Ziel.

 Einchecken im Hotel. Ich bringe mein Gepäck aufs Zimmer. Dann mache ich mich auf Richtung City. Einen Parkplatz finde ich am antiken Teatro Romano. Von hier bis in die Innenstadt sind es nur wenige Schritte.

Gubbio

 Enge Gassen, malerische Plätze, mittelalterliche Fassaden, kleine Läden. Wie von fremder Hand gesteuert stehe plötzlich vor dem Stadttheater-

The Shadow Of Your Smile

The Shadow Of Your Smile

Der Schatten deines Lächelns im fahlen Kellerkneipenlicht verhindert nicht den leichten Brand auf meiner Seele. Mehr noch, es entfacht leicht knisterndes Feuer. Ein Feuer, das mein eiskalter Frascati nicht löschen wird. Die Blicke deiner sanft- stahlblauen Augen streifen mich wie unabsichtlich. Bruchteile von Sekunden nur, doch sie treffen und kreuzen meine. Der Typ neben mir entzündet die nächste Zigarette, nachdem er die Vorige gerade erst  im Aschenbecher ausgedrückt hat. Der erste Rauchausstoß brennt in meinen Augen und veranlasst bei mir ein stummes Hüsteln. Und als diese Musik einsetzt, spüre ich, wie mein Blick auf dich verschwimmt, wie unter Wasser getaucht, hinter diesem zarten, salzigen Film, der meine Augäpfel benetzt. Ich nippe an meinem Glas, in das ich eintauchen könnte vor Glück oder aus Verlegenheit, um dort Wellen zu schlagen, laut zu plantschen, nur um etwas zu tun, was du vielleicht bemerkst. Nur so, um aufzufallen. Dir. Überlege, was ich sagen werde, sollte ich überhaupt etwas sagen. Höre deine Stimme, die zu der Frau neben dir spricht, versuche deinen Klang herauszufiltern aus den vierunddreißig anderen Stimmen. Der Bierzapfhahn tropft. Leise. Deutlich. Stetig. Im Off- Beat meiner Gedanken. Ein Lächeln huscht über deine Lippen. Für einen Bruchteil einer atomisierten Sekunde nur. Kaum sichtbar, vielleicht allein für mich, der es fokussiert, erkennbar. Und schon schlägst du die Lider wieder nach unten, drehst den Kopf leicht zur Seite. Halbprofil. Die Musiker räumen ihre Instrumente von der kleinen Bühne. Es war ein schönes Konzert. Und das hier ist die Zugabe, die Zugabe für mich allein. Meine kleine private Nachfeier und später, als du gehst, direkt an mir vorbei, ganz nah, und mit einem Augenaufschlag mir ein „Ciao“ ins Ohr hauchst, berührt er sanft  mich wieder: Der  Schatten deines Lächelns.

The shadow of your smile
When you are gone
Will color all my dreams
That lights the dawn 
(Paul Francis Webster)

Umbrisches Tagebuch – Teil 3 – 03.02.2010 – Ancona

 Für den Fiat finde ich einen Parkplatz mit Parkuhr am Hafen. Ich habe beschlossen, ein wenig Sightseeing zu betreiben. Den Mantel lasse ich im Auto, für meine Begriffe ist es warm genug. Die Einheimischen scheinen hier anderer Meinung zu sein. Eingehüllt in dicken Daunenjacken oder Mänteln bewegen sie sich durch Anconas Straßen. Mir fällt ein und auf, dass ich keine Sonnenbrille mitgenommen habe. Die Kameratasche geschultert, mache ich mich auf den Weg in die Innenstadt. Gleichzeitig halte ich Ausschau nach einer Bleibe für die Nacht. Ich finde ein, zwei Hotels, die mir aber zu teuer sind.

 Nach zwei Stunden Herumlaufens und immer noch keiner Übernachtungsmöglichkeit, entschließe ich mich, ein wenig aus der Innenstadt herauszufahren.

 Gegenüber vom Hauptbahnhof entdecke ich mehrere Hotels. Das Hotel Gino macht von außen einen netten Eindruck. Ich frage die ebenfalls nette Signora an der Rezeption auf Englisch nach einem Einzelzimmer. Sie versteht, antwortet ihrerseits allerdings auf Italienisch. Für 35 Euro kann ich ein Zimmer haben inklusive „prima colazione“, also Frühstück. Na toll. Dann schreibt sie mir noch einen Parkschein für meinen Panda, den ich auf der kleinen Piazza neben dem Hotel somit ohne Angst vor wüst Knöllchen schreibenden Politessen. Allerdings kostet das Ausstellen des Scheins einen Euro extra.

 Das Zimmer ist ok, ich öffne erst einmal die Fensterläden um Licht und Luft hineinzulassen. Mit einem Schlag spüre ich, dass die Müdigkeit mich fest in den Griff nimmt. Die Stiefel streife ich noch von den Füßen, dann kippe ich sanft nach hinten auf das Doppelbett und bin wahrscheinlich nach ein paar Sekunden schon im Reich der Träume.

 Es ist bereits dunkel, als ich wieder wach werde. Ein Blick auf die Zeitausgabe meines Handys verrät mir, dass es 19:35 Uhr ist.

 Zum Hotel gehört auch ein Restaurant. Hunger habe ich reichlich, also nehme ich für meinen Weg nach unten die Treppen statt des Aufzugs.

 Da ich alleine bin, bietet der Ober mir einen kleinen „Katzentisch“ am Rande des Lokals an. Die Preise sind moderat. Ich habe Lust auf Pasta. Eine Portion Spaghetti Carbonara kostet 3,50 € und ein halber Liter Rotwein alla casa 4,00 €. Dementsprechend fällt meine Bestellung aus.

 Der Wein wird in einer Karaffe serviert, dazu bekomme ich ein Körbchen mit Weißbrot gereicht.

 Der erste Schluck von dem Vino rosso, es ist gleich ein sehr Kräftiger, holt mich auf den Boden zurück. Die zweite Landung am heutigen Tag quasi. Er schmeckt gut. Er tut gut. Genau das richtige für das Hier und das Jetzt.

 Ich sinniere darüber, wie lange ich nicht mehr in Italien war, rechnen kann ich da, wie ich will, so knappe 30 Jahre werden es wohl sein.

 Da ich seit heute früh nichts mehr gegessen habe, steigt mir der Wein gleich leicht ins Gemüt. Schnell noch einen Bissen Weißbrot. Der Ober bringt den Teller mit den wohl duftenden Spaghetti. «Carbonara e una…». Nein, die Cola lasse ich besser weg, ich widme mich lieber dem guten Roten.

 Der Teller ist gut gehäuft gefüllt. Genau die richtige Menge für einen lebenshungrigen Reisenden. Ich streue ordentlich Parmesan über die Pasta und rolle die ersten Nudelstränge um die Gabel. Mann, was tut das jetzt gut! Ein erstes Hoch auf die italienische Küche! Weitere werden noch folgen. Soviel sei schon verraten.

 Ich lasse mir Zeit und damit auch die gesamte entspannte Atmosphäre in diesem Lokal auf mich wirken. Die Menschen hier, ihre Sprache, Mimik und Gestik. Es tut gut, einmal wieder auf die seelische Bremse zu treten. Das rastlose Hasten und das ewige Auf-die-Uhr-Schauen einmal abzustellen. Ich bade im Wohlbefinden. Das einzig Störende hier ist der plärrende Fernseher, dessen aktiver und impertinenter Anwesenheit sich nur ganz schwer entziehen kann. Und es wird nicht die letzte Begegnung mit einem Exemplar dieser Spezies in einer Lokalität wie dieser sein. Soviel sei weiter verraten.

 Einen solchen kulinarischen Leckerbissen gilt es noch abzurunden. Das tue ich mit einem Kaffee und einem Grappa. In dem beinahe Fingerhut großen Tässchen befindet sich das tiefschwarze Gold eines italienischen Espressos, dessen aromatischer Duft mir beim Anheben des Trinkgefäßes Richtung Mund genüsslich in die Nase steigt. Ein winzig kleiner Schluck nur, gerade so viel um einen heißen Hauch des Getränks auf meine Geschmacksnerven zu bekommen und dann etwa doppelt so großes Nippen am Grappaglas und der Genuss neigt sich der Vollendung entgegen.

 Glücksmomente können gewiss ganz unterschiedlich sein. Aber der hier und in diesem Augenblick, hat etwas Bleibendes. Das Leben ist auf diese Art einfach mehrfach so schön.

 Ich atme genüsslich und dementsprechend langsam ein. Bin mir ganz bewusst, dass es mir gut geht in diesem Moment. Besser als vielen anderen Menschen auf dieser Welt. Aber ich kann das stehen lassen.

Umbrisches Tagebuch – Teil 2 – 03.02.2010 – Flug und Landung in Ancona, Italien

 

Über den Wolken...

Über den Wolken...

Von nun an ist unter uns alles weiß und über uns alles blau. Hier oben scheint die Sonne. Diese Tatsache beflügelt mein Wissen darüber, dass ich mich zum ersten Mal in meinem Leben von der Erde weg in die Lüfte begeben habe. Es ist toll. Einfach nur toll. Fliegen ist schöner. Schöner als ich es je gedacht habe. Nein, Angst habe ich keine. Hatte ich auch nicht. Es stimmt schon: Man muss los lassen, abgeben hier. Sich verlassen darauf, dass die Menschen da vorne in der Pilotenkanzel ihr Handwerkverstehen, genauso wie die, die sich um die Technik und das Wohlverhalten eines so hoch komplizierten Verkehrsmittel wie einem Flugzeug sorgen.

Über den Wolken

 Äußere Bezugspunkte hat man kaum bei einer so glatt gezogenen Wolkendecke unter sich. So entsteht der Eindruck des Stillstands in der Luft. In der Ferne durchstreift ein weiterer Jet das Blau.

 Die niederländische Dauerunterhaltung in der Reihe hinter mir ist verstummt, ab und zu hört man ein paar Wortfetzen von irgendwo in der Kabine, aber die sind im allgemeinen Soundspektrum so weit nach hinten gemischt, dass sie kaum ins Gewicht fallen. Das gleichmäßige Surren der Triebwerke ist die hauptsächliche und momentane Geräuschkulisse.

Ich denke nicht, zu mindestens nicht viel. Ich staune nur. Das ich mich bewege von A nach B und das, ohne mich im Eigentlichen groß selbst zu bewegen.

 Dann sehe ich Bergspitzen unter uns auftauchen, in der Ferne noch, doch sie rücken immer näher. Können das denn wirklich schon die Alpen sein? Der Bezug zur Zeit und das Gefühl hierfür sind mir gänzlich entschwunden ebenso wie Bezug und Gefühl zum Raum. Es sind die Alpen, ja, sie müssen es sein. Der Blick von hier oben ist einzigartig. Es beeindruckt mich stark. Karge, schroffe, mit Schnee bedeckte dunkelgraue Steinhaufen planlos an einander gereiht.

 Dann wird die Landschaft wieder flacher. Ich freue mich, dass der Blick nach unten nicht wieder durch eine Wolkendecke verstellt ist.

 Ein großer Fluss schlängelt sich durch eine schneebedeckte Ebene. Ich krame in meinem verbliebenen Geographiewissen. Das muss der Fluss sein, nach dem in Kreuzworträtseln gerne gefragt wird. Der Po. Und die dazu gehörige Ebene.

 In einiger Entfernung glitzert etwas. Einige Flugminuten später ist mir klar, dass es sich hierbei um das Mittelmeer handeln muss, ja es ist die Adria.

 Das Zeichen zum Anschnallen der Gurte blinkt auf und wird auch gleich durch die Ansage des Captains bestätigt. „Wir werden in weniger als 15 Minuten landen.“

 Huch! War das denn jetzt wirklich schon alles? Die Zeit vergeht hier über den Wolken bei grenzenloser Freiheit, sieht man mal von den einengenden Gurten ab,  wirklich und wörtlich im Fluge. Mir kommt das Ganze wie ein maximal halbstündiger Himmelsritt vor. Dabei werden nach der Landung tatsächlich 90 Minuten vergangen sein.

 Der Flieger neigt sich ein wenig zur Seite. Wir fliegen wohl eine Kurve. Der Landeanflug führt uns über befahrene Straßen, man kann die ersten Autos fahren sehen, Häuser, sogar vereinzelte Fußgänger sind zu erblicken. Der Strand der Adria. Und jetzt, jetzt sind wir über dem Wasser. Wie war das noch mal mit der Schwimmweste? Der Gedanken verdrängt sich wie von alleine bei dem Anblick auf zwei in Seelenruhe auf dem Meer tuckernder Schiffe. Ich genieße den Ausblick von hier oben.

 Irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Nase unseres Stahlvogels jetzt nach unten zeigt. Richtig! Der Abstand zu Mutter Erde wird immer geringer.

 Schrebergärten in Italien? Ja, ganz klar. Ganz deutlich. Hier kurz vor dem Flughafen.

 Touchdown. Die Räder setzen auf. Ein Rütteln geht durch die Maschine. Bremsgeräusche. Quietschen. Der eigene Körper wird nach vorne gedrückt. Die Erde hat uns wieder. Das Flugzeug rollt aus, lenkt dann nach links ein und in gefühltem Schritttempo rollen wir auf das Flughafengebäude zu.

 Stopp. Die Türen öffnen sich, die Treppen werden heran gerollt. Wir dürfen aussteigen. Meinen Handgepäcktrolley, der hauptsächlich meine Fotoausrüstung beherbergt, befreie ich aus seinem Käfig.

 Die Sonne scheint, die Wolken sind aufgerissen, es ist spürbar wärmer als in Deutschland. Beschwingt ziehe ich mein Gepäck auf seinen kleinen Rädern hinter mir her, marschiere in die Empfangshalle, wo einige uniformierte Herren von Zoll und Polizei jeden Ankömmling intensiv mustern. Ich grüße mit einem freundlichen „Buon giorno“ und passiere die Sicherheitstür.

 Wie komme ich jetzt an mein restliches Gepäck? Als die Sicherheitstür sich für einen meiner Mitreisenden öffnet, fällt mein Blick auf das Gepäckband.

 Der Mann am Schalter bestätigt meinen Verdacht, dass ich übereilt daran vorbeigegangen bin. Also warte ich, bis sich die Tür wieder öffnet und schlüpfe wieder in den Ankunfts- und gleichzeitgien Sicherheitsbereich. Was ich wohl nicht hätte tun dürfen. Denn gleich gibt es Geschrei und drei Uniformen stürzen auf mich zu. Derweil zieht der Trolley mit meinen Klamotten seelenruhig seine Runden auf dem Transportband.

 Mein vermutlich allzu sehr gebrochenes Italienisch bemühe ich erst gar nicht, um den Uniformen zu erklären, dass ich weit davon entfernt sei, ein Sicherheitsrisiko zu sein. Also sage ich kurzerhand auf Englisch: „I forgot to pick up my luggage.“ Die eine Uniform versteht das, zur Sicherheit will sie noch meine Bordkarte sehen und ihr angestrengt dienstlicher Blick weicht schließlich einem erleichterten Lächeln und einem „Ok. Grazie e una buona giornata.“ Ich antworte mit einem „Grazie mille. Arrividerci.“ Und die Uniformen winken mir freundlich hinterher.

 Übers Internet hatte ich bereits einen Leihwagen geordert. Ihn bekomme ich nach Erledigung einiger kleinerer Formalitäten auch sofort ausgehändigt. Das heißt, zunächst nur den Schlüssel. Der kleine bronzefarbene Fiat Panda 1,2l wartet auf mich auf Parkplatz Nummer 21. Meine Trolleys finden in seinem Kofferraum Platz und ich auf dem Fahrersitz. Ancona, ich komme.

Unterwegs nach Ancona

Unterwegs nach Ancona

 Ich verlasse das Flughafengelände, suche vergebens nach einem Ancona- Schild. Also fahre ich einfach mal so drauf los, Ancona wird sich schon finden. Aber nichts dergleichen. Auf dem Parkplatz eines deutschen Discounters, der mit seinen gelben Schildern auf blauem Grund auch in Italien auf sich aufmerksam macht, krame ich mein mitgebrachtes Navisystem aus, gebe Ancona ein, pappe den Halter an die Windschutzscheibe und nach einer Viertelstunde halte ich innerlich- feierlichen Einzug in die Stadt, in der ich heute nächtigen werde.

Umbrisches Tagebuch – Teil 1 – 03.02.2010 – Der Start

Der Flieger

Spätestens um vier muss ich von Zuhause los. Es geht überraschend nach Italien. 4:53 Uhr fährt mein Zug ab Düren. Der Shuttle- Bus nach Düsseldorf Weeze geht ab Köln um 6 Uhr.  Schneetreiben. Gnadenlos und unaufhörlich. Sichtweite vielleicht schlappe 50 Meter. Die Straßen sind gerade noch so befahrbar. Mehr als 40/50 km/h sind aber nicht möglich. Mein Auto wie geplant auf dem Firmengelände abzustellen, schaffe ich nicht mehr. Das Tor zu öffnen und wieder zu schließen und ca. 8 Minuten Fußweg bis zum Bahnhof bei der Witterung, nein, das wird zu knapp! Also stelle ich meinen Wagen auf dem Park & Ride Parkplatz direkt vor dem Bahnhof ab.

Nachdem ich den Kampf mit dem Fahrkartenautomat der Deutschen Bahn für mich entschieden habe, also nun einen gültigen Fahrausweis mein eigen nenne, erklimme ich mit meinen beiden Trolleys die Treppen zum Bahnsteig 6, wo bereits meine S-Bahn wartet. Einen Platz zu finden, ist gar nicht schwierig, der Wagon gähnt schier vor Leere. Gähnen tue ich auch, allerdings vor überfallsartiger Müdigkeit, nachdem ich mich endlich in der Heizungswärme niedergelassen habe.

Mann, was für eine Nacht! Keine Sekunde geschlafen. Am Vorabend das Konzert von Bernard Allison in Köln, dann noch auf einen „Halven Hahn“ und zwei Kölsch ins Brauhaus.  Gespräche. Der Ritt durch den einsetzenden Schneefall zurück nach Hause. Da war ich kurz nach zwei Uhr. Gepackt hatte ich noch nicht. Ein paar Mails mussten auch noch raus. Wer weiß, wann ich wieder ans Internet komme.

Haltestelle für Haltestelle füllen sich die Wagons. Dann endlich Köln Hauptbahnhof. In einer Bäckerei versorge ich mich noch schnell mit ein paar Laugenstangen und einem Käsebrot. Dann zum Breslauer Platz zur Haltestelle des Bus- Shuttles nach Weeze. „Kollege kommt gleich.“, sagt der Fahrer des Busses, der nach Frankfurt Hahn shuttelt.

So ist es dann auch. Mit drei Passagieren und einem Fahrer starten wir pünktlich um 6 Uhr Richtung Düsseldorf. Es geht die A 57 hinunter oder hinauf, doch das ist mir ziemlich egal, irgendwann bin ich eingedöst und irgendwann werde ich wieder wach, um gerade noch zu sehen, dass wir die Philippshalle passieren.  Düsseldorf, also. Aha. Am dortigen Hauptbahnhof steigen noch vier, fünf Menschen zu.

Im grauenden Morgen werde ich erst wieder wach, als wir kurz vor dem Ziel sind. Irgendwie fühle ich mich wie in dumpfe Watte gepackt. Wie nicht so ganz von dieser Welt. Fühle mich passiv. Es geschieht etwas mit mir und nicht ich bin der Handlungsinhaber. Nun ja, lass es geschehen, einfach nur geschehen.

Der Flughafen Weeze ist überall ausgeschildert. Leichter Schneefall auch hier, als wir zur Abfertigungshalle eilen. Ich komme dem allerersten Flug in diesem meinem Leben unausweichlich näher.

Gepäckaufgabe. Pass- und Bordkartenkontrolle. Security. Handgepäck aufs Band legen. Hosentaschen leeren. Inhalt in eine Plastikschale legen. Durch die Schleuse. Es piepst. Hosengürtel mit Metallschnalle? Ja. Gürtel aus! Noch mal durch die Schleuse. Es piepst. Vergessen hatte ich den Einkaufswagenchip. Noch mal Schleuse. Es piepst nicht. Zur Sicherheit werde ich noch mit einem Handgerät abgetastet. Nichts piepst mehr. Ich darf meine Sachen wieder an mich nehmen und bin somit für das Boarding frei geschaltet. Uff!!

Gate 8

Gate 8. Hier soll ich warten. Ich warte. Immer mehr Flugwillige finden sich ein. Ein offensichtlicher und italienischer Geschäftsmann führt in munterem Ton mit seinem Handy Gespräche über Termine und Kaufkonditionen. Seine Ansprechpartnerin ist zunächst eine Dame namens Francesca. Ich bin überrascht, dass ich seine Sprache so verstehe, obwohl ich sie eigentlich nie gelernt habe. Ich meine in Kursen, mit Grammatik- und Vokabellernen. Meine sechs Jahre Lateinunterricht vor mehr als 40 Jahren tragen also auch heute noch Früchte. Dann telefoniert er noch lebendig gestikulierend mit einem Signore Bertuzzi oder so, und dann noch mit einem Signore Goldoni. Und ich? Ich sitze nur da und bin müde und kann mich seinem Wortschwall nicht entziehen.

Per Ancona, uscita otto?“ Die ältere Dame lächelt mich an. „Si, si.“ . So knapp fällt meine Antwort aus. Und das ganz voller Freude, dass ich die Signora überhaupt verstanden habe. Von all den hier Anwesenden sehe ich nun wirklich nicht gerade am italienischsten aus. „Grazie mille.“, lächelt sie nun wieder.

Unsere kleine Schicksalsgemeinschaft wächst nach und nach an. Eine halbe Stunde vor dem Abflugtermin werden es etwa 60 bis 70 Menschen sein.

 Der Bus fährt vor. Ich nehme an, dass er uns übers Rollfeld zu unserer Maschine bringen soll. Boarding time. Für acht Euro mehr kann man sich beim Buchen eines Fluges bevorzugte Behandlung erkaufen. Das bedeutet dann, dass man vor allen anderen zuerst den Flieger besteigen kann. Diesen Zusatz habe ich nicht gebucht. Warum auch? Bescheiden wie ich bin, würde ich sogar als Letzter in die Maschine krabbeln. Tatsächlich dürfen sich die Passagiere mit der Zusatzbuchung in eine eigene Reihe stellen und werden auch als erste an dem Schalter behandelt, an dem man nochmals Bordkarte und Ausweis vorzeigen muss. Auch dürfen sie zuerst den Bus besteigen. Aber nachdem wir, die gemeinen Passagiere zugestiegen sind, verwischen sich die Grenzen augenblicklich. Also bitte!

 Der Busmotor brummt laut drehend, es riecht verstärkt nach Diesel. So stehen wir nun in diesem Zubringerbus und warten. Bis uns gesagt wird, wir müssten wieder aussteigen. Denn es gibt Probleme. Aha. Die Startbahn sei vereist. Aha. Und man wolle uns doch sicher in den Himmel, nein, in die Luft bringen. Aha. Ja, besser ist das. Die Durchsage kommt in Deutsch und in Englisch, Niederländisch wäre eigentlich auch sinnvoll gewesen, denn mehr als die Hälfte der Anwesenden ist wohl aus unserem Nachbarland. Und Italienisch ebenfalls.

 Wieder in der warmen Wartehalle steht mir plötzlich wieder besagte betagte Italienerin gegenüber und fragt mich, ob ich verstanden habe, warum  wir wieder aussteigen mussten. Mit einem „Si, si.“ komme ich jetzt nicht weiter. „É troppo pericoloso, c’é gelato sulla pista.“. Ich weiß nicht, ob dies irgendwelchen Grundregeln der italienischen Sprache entspricht, aber die Signora bedankt sich mit einem erneuten in Lächeln getauchtem „Grazie mille.“

 Warten. Eine Viertelstunde. In kurzen Abständen heben zwei Maschinen vom Rollfeld ab. Ist das Eis nun beseitigt? Eine weitere Viertelstunde. Und noch eine. Wir werden wieder in den Bus gebeten. Nochmals Papiere bereithalten. Die Für-acht-Euro-Zusatz-bevorzugt-zu-behandelnden-Passagiere werden bei diesem zweiten Anlauf nicht noch mal extra behandelt. Vielleicht hätte man ja auch dann 16 Euro mehr zahlen müssen. Alle erstürmen eiligst und gemeinsam und gleichzeitig den Bus. Nach weiteren fünf Minuten Dieselgestanks setzt der sich dann auch endlich in Bewegung.

 Wir erreichen das Flugzeug, dessen Flügel gerade nochmals enteist werden. Einsteigen. Ein letzter Blick der Stewardess auf die Bordkarte. Lächelnd weist sie mir einen Platz ab der Flugzeugmitte zu. Ich wähle einen auf der in Flugrichtung linken Seite direkt am Fenster. Das Handgepäck, das einem Gewicht von höchstens 10kg und maximalen Maßen auf 55cm x 40cm x 20cm entsprechen muss, landet im riesigen Staufach über meinem Sitz. Und dort ist für weiß Gott größere Gepäckstücke ausreichend Platz!

 Nachdem ich mich schon einmal vorsorglich mit dem Sicherheitsgurt vertraut gemacht habe, schaue ich aus dem kleinen, leicht beschlagenen Fenster. Direkt neben der Maschine steht ein Servicefahrzeug.

 Die Tür wird geschlossen. Das Bordpersonal klärt uns über Gebrauch von Atemmaske bei Sinken des Luftdrucks und Schwimmweste im Falle de Notwasserung auf. Die Notausgänge werden beschrieben.

 Dann wird’s Ernst. Der Flieger rollt an. Das Servicefahrzeug bewegt sich parallel dazu auf die Rollbahn. Kurzes Warten. Ich atme tief durch. Na dann. Jetzt soll’s wohl sein. Die Maschine bekommt die Freigabe und beschleunigt. Das Servicefahrzeug lässt sich nicht abschütteln und erst beim Abheben vom Boden wird mir klar, dass der vermeintliche Bodenbegleiter das linke Triebwerk ist. Ich muss in mich hineingrinsen. Hey, wir sind ja jetzt in der Luft! Häuser, Felder, Wiesen und Wälder werden immer kleiner, bis sie ganz verschwinden, als wir die Wolkendecke durchbrochen haben. Ich gähne, ob freiwillig oder nicht, egal: In den Ohren macht es „Plop“ und das Gehör scheint wieder freier zu atmen.