Nach der Saison ist vor der Saison. Man muss eine der Bahnunterführungen nehmen, um direkt an den Strand der blau besungenen Adria zu gelangen. Die Bahnlinie trennt die Küstenstraße vom direkten Zugang. Und blau ist sie nun beileibe nicht, die Adria, eher grau und heftig wellig bewegt. Ok, wir haben gerade Anfang Februar, seltsam, dass man dem Süden, zu dem Italien nun mal zweifellos gehört, so gar keinen Winter zugesteht. Der Temperaturzeiger markiert 6 Grad Celsius, immerhin über Null.
Im Hotel- TV konnte ich im Wetterbericht sehen, dass der Norden des Landes im Schnee versinkt. Selbst die Toscana ist weiß bedeckt. Weiße Dächer in Florenz. Der Winter hat Europa immer noch fest im Griff.
Warum also murren oder hadern? Ein paar Spaziergänger mit oder ohne Hund und Jogger mit oder ohne Stirnband nutzen den Sonntagmorgen für ihre Aktivitäten.
Je mehr ich in mich hinein horche, umso mehr spüre ich, dass ich gar keine Lust habe, weit zu fahren. So beschließe ich in Roseto, das keine 10 Kilometer nördlich von Pineto liegt, Station zu machen. Dieser Ort gruppiert sich lang gezogen im Prinzip um die Via Nazionale. Es gibt ein paar Parallelstraßen rechts wie links.
Im Sommer wird hier wohl die touristische Hölle sein. Davon ist natürlich heute nicht viel zu bemerken. Ein Gruppe Kirchgänger verlässt das Gotteshaus Santa Filomena.
Nach einigem Suchen finde ich ein offenes Hotel direkt an der Strandpromenade. Der Übernachtungspreis liegt bei vorsaisonalen, erschwinglichen 30 Euro. Ich beziehe mein Zimmer im 2. Stock mit Balkon und direktem Meeresblick. In der Hauptsaison kostet dieses Zimmer das Doppelte, wie mich ein bedrucktes Din A Blatt an der Innenseite der Eingangstür belehrt.
Eine unwiderstehliche in mir aufkeimende Müdigkeit lässt mich sanft aufs Bett kippen und nach wenigen Minuten bin ich im Reich der Träume.
So gegen zwei Uhr bin ich wieder wach, schultere die Kameratasche und mache mich auf einen kombinierten Strand- und Stadtbummel.
Ein mittelstarkes Windchen bläst vom Meer aufs Land. Die Luft ist frisch und tut gut. Sie schmeckt ganz leicht salzig. Ich atme durch, fühle mich wohl.
Die letzten Tage waren so prall gefüllt mit Erlebnissen und Begegnungen. So bin ich froh, jetzt endlich Gelegenheit zu haben, dies allmählich zu verdauen.
Vielleicht klingt das verrückt, aber ich genieße es, wieder allein zu sein und Abstand zu bekommen. ´Distanz ist wichtig, um gerade die schönen Dinge wertschätzen zu können. Im Trubel der zahlreichen gleichzeitig auf einen einwirkenden Ströme kann man das gar nicht wertschätzen. Jedenfalls kann ich das nicht. Jetzt ist die Zeit, alles zu sortieren und das „Merkwürdige“ zu fundamentieren.
Ab und zu bleibe ich stehen, wenn mir ein interessantes Motiv auffällt, um es dann mit der Kamera aufzufangen und fest zu halten.
Eine Menge Treibgut, Müll und Hundekothaufen haben sich angesammelt im Sand, in dem im Sommer sich tausende Sonnenhungrige auf ihren Badetüchern und Liegen aalen. Die Strandbuden sind verwittert und wirken verwahrlost. Die Farbe blättert ab. Werbeflächen sind ausgeblichen und kaum noch lesbar. Türen sind aus vom Rost angefressenen Schlössern gesprungen. Fensterscheiben zu Bruch gegangen. Strandmatten flattern zerfleddert im Ostwind.
Die Hörer meines MP3- Players drücke ich in die Ohren. Die Zufallswiedergabe ist eingestellt. Als erstes erwische ich Maurizios «I Like It Like That». Ich muss schmunzeln. Es ist noch keine 24 Stunden her, dass ich den Titel live gehört habe. Dieser Song ist ein wenig „retro“ angehaucht. Er könnte aus den Fünfzigern stammen. Maurizio’s Gitarre klingt stellenweise sehr „italienisch“ nach Mandoline. Der Titel hat den unverhohlenen Charme einer Epoche, in der viele Deutsche sich erstmalig in ihren VW- Käfern mit dem Gepäck auf dem Dach wieder über die Alpen trauten, in den Süden, in die Sonne, nach Italien, eben an die Adria. Ich stelle mir eine Gelateria von damals vor, junge Leute, eine Jukebox und dann Ray’s Stimme, die warm und sanft ist und mit leichtem Knistern unterlegt und bei der Textzeile „Drowning in the river of love“ ganz tief nach unten geht.
Nach zwei, drei Kilometern Strandwanderung biege ich nach rechts und damit stadteinwärts. Die Hauptstraße ist wie ausgestorben. Auf der anderen Straßenseite schlufft ein alter Mann mit tief ins Gesicht gezogenem Hut das Trottoir entlang. Ich sehe eine Mutter mit Kinderwagen, ein paar gelangweilte Jugendliche, die ziel- und lustlos eine zerbeulte Coladose vor sich her kicken.
Die zahlreichen Geschäfte sind geschlossen. Selbst der Bahnhof wirkt ausgestorben. Klar an einem Sonntagnachmittag. Ein paar Cafés und eine Eisdiele sind geöffnet. Die Stimmung erinnert an eine verlassene etwas modernere Westernstadt. Es fehlen lediglich ein paar verdorrte Kakteen, die vom Wind getrieben über die Straße wehen.
In einer Seitenstraße mache ich ein Internetcafé aus, das ebenfalls geschlossen ist. Um seine Existenz, Lage und Öffnungszeiten zu wissen ist allerdings eine gute Sache, so beschließe ich, am folgenden Tag erneut herzukommen, um mit meinem anderen Leben wieder einmal Kontakt aufzunehmen.
Als ich ins Hotel zurückkomme, bemerke ich, dass im Restaurant einige Leute sitzen. Es ist also offen. Ich habe mächtig Hunger, so setze ich mich an einen freien Tisch. Auf die Frage, ob ich hier etwas zu essen bekommen kann, antwortet der Ober: „Ma si, Dottore!“, und legt mir die Speisekarte hin. Für 12 Euro kann ich ein komplettes Menü bekommen. Also her damit! Gemischter Salat. Weißbrot. Penne alla rabiata. Piccata alla Milanese. Dazu eine Halbliterkaraffe mit Wasser und eine mit Rotwein. Als Dessert noch Panna Cotta mit Johannisbeeren gefolgt von einem dieser tiefschwarzen Kaffees und einem Grappa („Kill the coffee and do it the old grappa way…“) und Herr Gardner ist zufrieden, hoch zufrieden.
Genau in diesem insgesamt „runden“ Gefühl begebe ich mich auf mein Zimmer. Das italienische Fernsehprogramm ist ganz übel durchsetzt mit fürchterlichen Shows, die allabendlich über die Bildschirme flackern. Nichts für mich, so höre ich noch etwas Musik und irgendwann bin ich dann im Reich der Träume.
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