Umbrisches Tagebuch – Teil 10 – 08.02.2010 – Von Roseto nach Porto Recanati

 

Adria

Adria

Montagmorgen in Roseto. Nach dem Frühstück begleiche ich meine Hotelrechnung. Der Internetladen macht erst um 10Uhr auf. Am Ortseingang habe ich gestern einen ziemlich großen Supermarkt gesehen. Wenn ich unterwegs im Ausland bin, schaue ich mir gerne die Konsumtempel des Landes an. Außerdem ist meine Lesebrille gestern zerbrochen, Ersatz ist gefragt.

 Die Obst- und Gemüseauslage ist wie in allen mediterranen Ländern üppig und bunt. Ich ziehe vorbei an der Wurst- und Fleischabteilung dann an der Meeresgetiertheke, um schließlich an Käsestand zu verharren und die verschiedenen Duftnoten durch meine Nase rieseln zu lassen.

 Das Angebot im Weinregal ist förmlich erschlagend. Meine Wahl fällt schließlich auf eine Flasche Bardolino, die sogleich in meinen Einkaufswagen wandert.

 Eine passende Lesebrille finde ich dann auch noch und irgendwie ruft mich der Wurststand magnetisch zurück, wo ich mir dann noch eine kleine Salami mit Walnüssen und Trüffel zulege. Zwei Panini und ein paar Tomaten müssen auch noch sein und die Vorfreude auf ein kleines Strandpicknick im Laufe des Tages nimmt ihren genüsslichen Lauf.

 Dann fahre ich zurück ins Stadtzentrum von Roseto. Im Internetcafé rufe ich meine Mails ab, zum Glück ist nichts allzu Dramatisches dabei, ein paar liebe Grüße aus der Heimat beantworte ich mit ein paar lieben Grüßen in die Heimat.

Danach gibt es eigentlich nichts mehr, was mich hier hält. Mir ist klar, dass es nicht einfach werden wird, die zirka 130 Kilometer bis Ancona über zwei Tage zu verteilen.

Adria

Adria

So gehe ich die Strecke gelassen gemütlich an. Halte hier und dort, mache ein paar Fotos, trinke Kaffee und lasse mir so richtig Zeit und somit es mir genau so richtig gut gehen. Fern ab jeglicher sonst implantierten Hektik. Ich spüre, dass dieser Rhythmus mir gut tut, ich kann die momentane Freiheit genießen.

Am Nachmittag verschwinden die Wolken zusehends und die Sonne scheint schüchtern, jedoch recht freundlich, durch die Reste.

Porto Recanati

Porto Recanati

Die Adria wird dennoch bestimmt nicht zu meiner Lieblingsküste. Die Bauschandtaten vergangener Jahrzehnte wissen genau das mir zu vermiesen. Hier wurde gebaut, frei nach dem Motto: „Wie bekommt man möglichst viele Menschen zugleich an einem einzigen Ort unter?“ Die Antwort sind die Touristensilos wie man sie schon von der spanischen und der der belgischen Küste her kennt. Und die bekommen allesamt von mir ein „Nein Danke, muss ich nicht haben, will ich nicht haben!!“

So laden mich all die Orte entlang der Küstenlinie nicht gerade zum längeren Verweilen ein. Eine rühmliche Ausnahme bildet Porto Recanati. Der Ort macht einen in sich gewachsenen Eindruck, einzig eine riesige Bettenburg verunziert, das Ende der für Autos gesperrten Strandpromenade.

Porto Recanati

Porto Recanati

 Bis Ancona sind es nur noch 25 Kilometer. So beschließe ich, mir hier oder in der Nähe eine Bleibe für die Nacht zu suchen.

Die Quote der offenen Hotels ist hier nicht allzu hoch, so werde ich erst 6 Kilometer weiter nördlich von Porto Recanati fündig.

Egal. Mit meinem Bardolino, den Panini, den Tomaten und der Salami und meinem Multifunktionsmesser mache ich mich auf zum Strand.

Gut, dass ich einen Pullover und die Jeansjacke angezogen habe, die Lufttemperatur hat inzwischen reichlich gelitten.

Porto Recanati

Porto Recanati

Mein Abendbrot genieße ich mit Meeresblick, weit und breit kein Mensch zu sehen. Die Dämmerung setzt ein, ein wenig durchgefroren bin ich mittlerweile auch, also gehe ich zurück in mein Hotelzimmer, das einen Fernseher bereit hält, auf dem man wiederum ARD und ZDF empfangen kann. Es gibt einen Krimi im ZDF, dessen Ende ich nicht mehr mitbekomme, da ich da längst schon im Tal der Träume verweile.

Solche Tage so gänzlich ohne Termine oder Verpflichtungen sind seltsamerweise ebenso ermüdend wie die mit. Oder ist es die über Monate gewachsene Erschöpfung, die sich jetzt schleichend einen Weg bahnt, da die Widerstände sanft erlahmen?

Mitten in der Nachtausgabe des „Heute Journals“ werde ich wach. Der Wetterbericht verheißt in Deutschland erneute Schneefälle und weitere Minustemperaturen.

Doch all dies ist noch weit weg, genauer gesagt 36 Stunden und um die 1500 Kilometer. Mit ausgeschaltetem TV- Gerät schläft sich’s auch gut. Morpheus nimmt mich wieder in seine längst wieder ausgebreiteten Arme und ich versinke in meinen Träumen, von deren Inhalt ich später nach dem Erwachen mal wieder nichts wissen werde.

Die morgendliche Dusche tut gut und bringt den Kreislauf wieder in Schwung. Das Frühstück ist üppig heute. Ein kleines Büffet wartet auf mich, ich scheine der einzige Gast zu sein.

Frische Panini, Croissants, Käse, Marmelade, Salami, Schinken, Joghurt und Müsli, Kaffee und Orangensaft. Hmm. So lasse ich mir eine „prima colazione“ durchaus gefallen.

In dem Moment, in dem ich gerade ein Croissant der Länge nach aufschneide, meldet sich lautstark mein Handy. Was mich überrascht.

Es ist meine liebe Kollegin D., die fragt, wann ich denn mal wieder zur Arbeit zu kommen gedenke. Man würde schon Sorgen machen und mich obendrein doch so sehr vermissen. Ich muss lachen und erzähle froh gelaunt, dass ich noch in Italien weile, gerade beim Frühstück bin und der Flieger mich am nächsten Tag erst wieder nach Norden trägt. „Hast du es gut, ich wäre jetzt auch lieber in Italien als hier an diesem blöden Schreibtisch.“

Dienstagmorgen

Dienstagmorgen

Es ist Dienstagmorgen. Ein kleiner Fischkutter stampft laut dieselnd aufs mit Dunst behangene Meer hinaus.

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Umbrisches Tagebuch – Teil 8 – 06.02.2010 – Von Gubbio nach Pineto

Mark DuFresne & Sugar Ray Norcia

Mark DuFresne & Sugar Ray Norcia

Es muss so gegen drei Uhr sein, als die Karawane dann endlich aus Gubbio aufbricht.

Kurze Regenschauer begleiten uns. Wir fahren dieselbe Strecke durch die Apennin- Ausläufer zurück, die mich in diesen schönen Ort geführt hat. Jetzt wird mir Maurizios Anspielung auf die Geschwindigkeit klar: Er heizt ganz schön durch die bergige Landschaft, aber mein kleiner Miet- Panda hält tapfer mit. Kurz vor Ancona geht es dann südwärts auf die Autobahn A14, die sich an der Adria entlang schlängelt.

Unterwegs nach Pineto

Unterwegs nach Pineto

Unterwegs ist ein Treffpunkt an einer Raststätte ausgemacht. Kaffee, Süßgebäck. Gio kauft noch eine 3-fach CD von Duke Ellington für 7,95 € für einen seiner Schüler, der wissen wollte, was Swing ist. „Hier hat er alles, was er für den Anfang wissen muss.“, pflichtet Ray ihm bei, als er auf die Titelliste geschaut hat.

 Als wir in Pineto ankommen, ist es bereits dunkel. Eine kleine Irrfahrt durch den Ort, dann haben wir es gefunden, das Teatro Polifunzionale.

Plakat Pineto

Plakat Pineto

Erwartet werden wir schon von Vincenzo, dem Initiator der Konzertreihe «Green Hills In Blues – Winter Editiom 2010».

 Irgendwer muss ihn über meine Anwesenheit informiert haben, er kommt freudestrahlend auf mich zu und sagt in Deutsch zu mir: „Guten Abend Tony, ich freue mich, dich kennen zu lernen.“ Ich bin ein wenig verdutzt, aber Vincenzo erklärt mir, dass er in den 60-ger Jahren in Süddeutschland gelebt hat und dort als Musiker getingelt ist.

Wir räumen Instrumente, Zubehör und Verstärker in den Saalbau. Dazu müssen wir in den ersten Stock. Es gibt einen Aufzug. In diesem ergibt sich folgende Situation: Mark, Alberto und ich, alle drei nicht gerade Leichtgewichte, dazu noch die Orgel, ein Flightcase und Ray. Ray drückt den Knopf zur ersten Etage.

 Der Lift ruckelt ein wenig beim Anfahren und macht seltsame Geräusche. Ray schaut uns an und zieht die Augenbrauen hoch: „Wieviele Kilo schafft der?“ Alle müssen laut lachen. Nur der Aufzug nicht. Der ächzt und zieht uns brav in die Höhe.

 Aufbau, kurzer Soundcheck, Ray spielt «Feeling Blue» an, Alberto hat sich entschlossen nur die Bassbegleitung zu spielen. Und so aufs Wesentliche minimiert, passt es, es klingt einfach toll.

 Es ist noch Zeit, so fahren wir zum Einchecken ins Hotel. Dort wartet auch schon das Abendessen. Verschiedene Speisen stehen zur Auswahl: Spinat, Prinzessbohnen im Speckmantel, Salate, Fleischklöpse in Tomatensoße, Spaghetti a la Carbonara, Weißbrot, dazu Wein in Karaffen und Wasser.

 Und wieder plärrt von irgendwoher im Hintergrund der Fernseher. Aber dem messen wir keine Bedeutung bei. Unsere Unterhaltungen liegen im Lautstärkepegel leicht darüber und werden wie immer hier und da durch Lachsalven durchbrochen.

 Mark fährt mit mir und in meinem Panda durch die abendlichen Straßen zurück zum Theater. Der Saal ist bedauerlicherweise nicht einmal zur Hälfte gefüllt.

Lorenzo Piccioni

Lorenzo Piccioni

 Als Opener fungiert Lorenzo Piccioni, ein junger Gitarrist, der auf seiner Akustikgitarre Blues und Artverwandtes präsentiert.

Vincenzo

Es ist schön und tut gut, immer wieder auf Menschen zu treffen, die sich jeder auf seine Weise dem Blues verschrieben haben. Vincenzo kündigt das Maurizio Pugno Trio mit einem Enthusiasmus an, dem sich wohl keiner der Zuhörer entziehen kann. Mir geht dies genauso, obwohl ich nicht jedes Wort im Detail verstehe, bekomme ich doch mit, was mit welchem Elan er sich hier vor Ort einsetzt, um Spektakel wie dieses in diese Gegend zu bringen. Der Blues sei ihm wichtig und Veranstaltungen wie diese ebenfalls und sein Stolz sei groß, einige der besten italienischen Protagonisten dieser Musikrichtung hier präsentieren zu können. Dass zusätzlich noch zwei Blueskoryphäen der US- amerikanischen Szene mit auftreten, erfülle ihn mit einer riesigen Portion Freude. Toll sei auch, dass eigens aus Deutschland jemand angereist sei, um das Ganze zu dokumentieren, jemand von einem Bluesradio, dem es genauso wie Vincenzo selbst darum ginge, dem Blues eine Plattform zu bieten. Ich höre dies und bin wohl zu sehr mit dem Verstehen seiner Worte beschäftigt als mit ihrem Inhalt. So stehe ich plötzlich im Schweinwerferkegel und gleichzeitig auch etwas neben mir, höre Applaus, bin ebenso überrascht wie gerührt und verneige mich winkend vor dem werten Publikum.

 Genug der Worte. Nun wird es allmählich Zeit für die Musik: Maurizio, Gio und Alberto eröffnen instrumental, Mark kommt dazu winkt wieder mit seinem Aluflachmann, täuscht einen tiefen Schluck daraus vor greift sich das Mikro und los geht’s.

Alberto Marsico

Alberto Marsico

 Im Prinzip ist es die gleiche Show wie am Vorabend, im Sound ein wenig abgespeckt zwar, da der Bläsersatz und Bass fehlen. Letzteren kompensiert Alfredo quasi „mit Links“. Die Setlist wurde in wenigen Punkten geändert. „Feeling Blue“ beispielsweise kommt mit minimaler Instrumentierung so richtig groovy vin der Bühne.

 Kurzum dem Publikum gefällt’s. Dementsprechend laut ist auch der Beifall.

Gio Rossi

Gio Rossi

 Gio Rossi bietet während seines Schlagzeugsolos wieder einmal eine gelungene clowneske Einlage, die dieses Mal ganz anders ist als am Vorabend.

 „Niemals denselben Gag zweimal, das Publikum merkt das zwar nicht, ich mache das aber auch für die Band.”, erzählt er mir später. Ja, die Band hatte ihren Spaß und das Publikum ebenfalls.

 Einige CDs können nach dem Konzert verkauft werden, ich verteile noch einige JJBR- Karten an Leute, die mich interessiert darauf ansprechen.

 Dann kommt schon der erste große Abschied. Vincenzo hat einen Fahrer organisiert, der Mark nach Rom zum Airport bringen wird. So bleibt Maurizio noch etwas Ruhe und Zeit, um  Ray dann um sechs Uhr in der Früh ebenfalls nach Rom zu bringen.

 Auf dem Parkplatz verabschieden wir Mark. Wir fahren zurück ins Hotel. Ein Grappa als Absacker noch, dann der nächste Abschied: Maurizio und Ray sagen „Ciao und Goodbye“. Gio, Alberto und ich verabreden uns für 10 Uhr zum Frühstück.

 Dann verschwinden alle ermattet auf ihren Zimmern.

 Beim Frühstück erzählt Alberto, dass die meisten Hotels hier in der Gegend nur deswegen geöffnet sind, weil noch viele der Erdbebenopfer aus den Abruzzen seit April 2009 hier immer noch in Hotels untergebracht sind.

 Dann wird es auch Zeit für die Beiden aufzubrechen. Ein weiterer herzlicher Abschied folgt.

 Mir bleibt auch nur, das Gepäck aus dem Zimmer zu holen und zu zahlen.

 Von nun an bin ich wieder alleine unterwegs. Es ist Sonntagmorgen in Pineto. Die Stadt ist wie ausgestorben. Es nieselt leicht. Am Mittwoch geht mein Flieger. Also noch genügend Zeit, etwas von dem Land, in dem (irgendwann später) die Zitronen blühen, kennen zu lernen.

Strand bei Pineto

Strand bei Pineto

 Ausgefeilte Pläne habe ich nicht. Ich werde einfach die Adria- Küste gen Norden hinauf tingeln. Bis ich dann wieder in Ancona bin. Am Mittwoch. Spätestens.